Um die Tragfähigkeit eines ein- oder zweidimensionalen Bauteils aus Stahlbeton nachzuweisen, ist stets ein Gleichgewichtszustand zwischen den einwirkenden Schnittgrößen und den aufnehmbaren Schnittgrößen des verformten Bauteils zu finden. Neben dieser Gemeinsamkeit beim Nachweis der Tragfähigkeit eindimensionaler Bauteile (Stäbe) und zweidimensionaler Bauteile (Flächen) besteht jedoch ein entscheidender Unterschied:
Bei einem Stab ist die einwirkende Schnittgröße stets so gerichtet, dass diese der aus den Bemessungsfestigkeiten der Werkstoffe ermittelten aufnehmbaren Schnittgröße gegenübergestellt werden kann. Als Beispiel sei ein zentrisch durch die Druckkraft N beanspruchter Stab genannt.
Mit den Bauteilabmessungen und dem Bemessungswert der Betondruckfestigkeit lässt sich die aufnehmbare Druckkraft bestimmen. Ist sie kleiner als die einwirkende Druckkraft, kann der erforderliche Druckbewehrungsquerschnitt mit Hilfe der vorhandenen Stahldehnung bei einer zulässigen Betonstauchung bestimmt werden.
Bei einer Fläche ist die Richtung der einwirkenden Schnittgröße nur in Ausnahmefällen (Trajektorienbewehrung) so, dass die unmittelbar einwirkende Schnittgröße der aufnehmbaren Schnittgröße gegenübergestellt werden kann: Bei einer orthogonal bewehrten Wandscheibe beispielsweise sind die Richtungen der beiden Hauptnormalkräfte n1 und n2 in der Regel nicht identisch mit den Bewehrungsrichtungen.
Somit ist zur Dimensionierung der Bewehrung des Bewehrungsnetzes eine Vorgehensweise wie zur Bestimmung der Bewehrung eines Stabes nicht möglich. Es werden Schnittgrößen benötigt, die in Richtung der Bahnen des Bewehrungsnetzes verlaufen, um daraus die Betonbeanspruchung zu ermitteln. Diese Schnittgrößen werden Bemessungsschnittgrößen genannt.
Die Bemessungsschnittgrößen sind bildhaft vorstellbar, wenn man sich eine Masche des Bewehrungsnetzes unter Belastung betrachtet. Die zweite Hauptnormalkraft n2 sei vereinfacht Null.
Unter der angegebenen Belastung verformt sich das Bewehrungsnetz wie folgt.
Die Größe der Verformung wird durch das Ausbilden einer Betondruckstrebe innerhalb der Bewehrungsnetzmasche begrenzt.
Durch die Betondruckstrebe werden Zugkräfte in der Bewehrung aktiviert.
Diese Zugkräfte in der Bewehrung und die Druckkraft im Beton stellen die Bemessungsschnittgrößen dar.
Sind die Bemessungsschnittgrößen gefunden, kann die Bemessung wie bei einem eindimensionalen Bauteil verlaufen.
Das Hauptmerkmal bei der Bemessung zweidimensionaler Bauteile ist somit die Transformation der einwirkenden Schnittgrößen (Hauptschnittgrößen) in Bemessungsschnittgrößen, deren Richtung es ermöglicht, die Bewehrung zu dimensionieren und die Tragfähigkeit des Betons zu überprüfen.
Folgende Grafik veranschaulicht den wesentlichen Unterschied zwischen der Bemessung ein- und zweidimensionaler Bauteile.