Zusätzlich ergibt sich aber auch durch die Umströmung ein anderes Windverhalten um das Gebäude als bei einer Windströmung über das unbebaute Gelände. Dieses Windverhalten hat - abhängig von den Wind- und Gebäudeeigenschaften - einen Einfluss auf das Mikroklima um das Gebäude und die Menschen im nahen Umfeld. Im ungünstigsten Fall wird der Aufenthalt neben dem Gebäude unangenehm mit teils verstecken Gefahren für die Fußgänger und Radfahrer.
Deshalb gibt es in der auf das Bauwesen bezogenen Windtechnik nicht nur ein Feld, das sich mit der Belastungsermittlung für windumströmte Körper beschäftigt, sondern auch mit dem Windkomfort für Fußgänger und Radfahrer neben den Gebäuden.
Mögliche Strömungsbeeinflussungen durch Gebäude
Gebäude stellen sich nicht nur dem Wind entgegen, sondern beeinflussen auch die Strömung um die Gebäudeform selbst [1]. Die Strömung in diesem nahen Umfeld entwickelt sich je nach Windrichtung, Gebäudeform und Windeigenschaft durchaus unterschiedlich. Typische Einzeleffekte sind nachfolgend dargestellt.
Eine Aufsummierung all dieser Effekte hat einen Einfluss auf das städtische Mikroklima [1]. Die so entstehenden Windzüge transportieren Luft, Verschmutzungen, Schnee, Gerüche und Wärme durch die Stadtlandschaft, abhängig vom global auftretenden Wind, seiner örtlichen Beschleunigung und seiner zeitlichen Verteilung.
Windkomfort
Lokal beschleunigte Windströmungen und Verwirbelungen aus der Wechselwirkung zwischen Gebäuden und dem eigentlichen Windfluss zeichnet die Windsituation im Stadtgebiet ab. Dabei provozieren Verwirbelungen und hohe Windgeschwindigkeiten aus Kanalisierungs- und Venturieffekten zwischen und neben den Gebäuden ein Unbehagen bei den sich dort aufhaltenden Menschen. Vorrangig induziert das Strömungsfeld in der Kopfhöhe der Passanten (1,5 bis zwei Meter über dem Boden) das unangenehme Gefühl. In besonders drastischen Fällen entsteht mit dem Auftreten höherer Windgeschwindigkeiten zusätzlich eine Gefahr für die Passanten und Radfahrer vom Wind ungeplant weggedrückt zu werden.
Um die Gefahren aus diesen Windwirkungen zu bannen und Effekte zumutbar zu machen, sind über die Zeit verschiedene Kriterien entwickelt worden. Die bekanntesten Kriterien sind Grenzwerte nach Lawson, Davenport und der Norm NEN 8100 [2]. Die zuletzt genannte Norm gibt neben den nötigen Komfortkriterien auch Sicherheitskriterien an.
Der Windkomfort an einer bestimmten Stelle kann mit diesen Kriterien unter Verwendung der meteorologischen Daten und lokalen Windverhältnisse abgeschätzt werden. Die meteorologischen Daten geben im Untersuchungsbereich die auftretenden Windgeschwindigkeiten je Richtung in Ihrer Häufigkeit an. Solche Datensätze werden gerne in sogenannten Windrosen dargestellt.
Der globale Windstrom erzeugt im betrachteten Stadtbezirk oder Gebäudekomplex aufgrund der diversen Umströmungseffekte ein nicht konstantes Strömungsfeld mit teils erheblichen Beschleunigungseffekten neben und zwischen den Gebäuden. Der Fußgänger-Windkomfort ergibt sich dann durch Abgleich der lokalen Windgeschwindigkeiten mit den bezogenen meteorologischen Häufigkeiten aus dem zugrundegelegten globalen Windstrom [2]. Die niederländische Norm NEN 8100 gibt zum Beispiel eine Kategorisierung zur Bestimmung des Komforts und der Sicherheit an.
Komfort-kategorie | Mittlere Windgeschwindigkeit [m/s] | Auftretens-wahrscheinlichkeit [%] | Aktivität | |
---|---|---|---|---|
A | 5 | < 2,5 | Langer Sitzaufenthalt | |
B | 5 | < 5 | Kurzer Sitzaufenthalt | |
C | 5 | < 10 | Gemächliches Gehen | |
D | 5 | < 20 | Schnelles Gehen | |
E | 5 | ≥ 20 | Unkomfortabel |
Sicherheits-kategorie | Mittlere Windgeschwindigkeit [m/s] | Auftretens-wahrscheinlichkeit [%] | Gefahr | |
---|---|---|---|---|
A | 15 | < 0,05 | Kein Risiko | |
B | 15 | < 0,30 | Begrenztes Risiko | |
C | 15 | ≥ 0,30 | Gefährlich |
Neubauten ändern die Windkulisse
In der Vergangenheit gab es diverse Beispiele, in denen Neubauten das städtische Mikroklima und das damit verbundene Windströmungsfeld teils drastisch verändert haben. Als bekannteste Vertreter für eine nicht angenehme Umgebung galten in der Vergangenheit das Flatiron Building in New York und in jüngster Zeit das Hochhaus 20 Fenchurch Street in London, wegen seiner Form auch als The Walkie-Talkie oder The Pint bezeichnet. Diese und andere Fälle zeigten, dass man sich beim Neubau eines Gebäudes in eine bestehende Stadtlandschaft nicht nur mit dem Gebäude selbst, sondern auch mit der Umgebung auseinandersetzen muss. Vor allem hohe Gebäude ab 25 Meter Höhe können durch neu erzeugte Vertikalwindströmungen an der Fassade den Windkomfort in der Umgebung maßgeblich verändern. Das Windgeschehen solch kritischer Bauten kann im Nachhinein nur noch sehr begrenzt verbessert werden. Als Verbesserungsmaßnahme gelten optimale platzierte Bäume zur Abbremsung und Umlenkung der unangenehmen Windströme.
Um solchen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, ist es besser, bereits in der Entwurfsphase eines neuen Gebäudes oder eines Gebäudekomplexes die Veränderung des umliegenden Windgeschehens zu kennen. Mit dieser Information kann man etwaige unangenehme Windkomfortbereiche schon vor dem Bau erkennen und entsprechend die Gebäudeform abändern. Da diese Formoptimierungen meist iterativ vorgenommen werden müssen, bietet sich eine numerische Strömungssimulation an. Diese digitale Methode kann die zu untersuchenden Gebäudeformvarianten ohne Verschwendung von Ressourcen genau erfassen und unter Berücksichtigung der globalen Windsituation über dem Stadtbereich lokale Windgeschwindigkeiten ausgeben. Dieses Verfahren kann im Vergleich zu realen Windkanalversuchen an einem verkleinerten Stadtmodellkörper aufgrund entfallender Modellbauschritte durchaus wirtschaftlicher sein.
Windströmungsanalyse mit RWIND Simulation
RWIND Simulation erlaubt eine numerischen Strömungssimulation für solche Stadtmodelle durchzuführen. Das Programm kann das mitunter zerklüftete, sehr filigrane Stadtmodell 1 zu 1 ohne Größenskalierung über die Schnittstellen VTP (ParaView Poly Data) oder STL (Stereolithografie) in den numerischen Windkanal importieren. Die globale Windsituation im Stadtbereich ist am Windkanal über ein über die Höhe veränderliches Windgeschwindigkeits- und Turbulenzfeld zu definieren. Alternativ besteht zusätzlich die Möglichkeit, das Modell als Strukturanalysemodell mit seinen globalen Windeigenschaften von RFEM direkt in den numerischen Windkanal von RWIND Simulation zu importieren. RWIND Simulation vernetzt dann den freien Volumenbereich und ermittelt mit seinem stationären Löser für inkompressible, turbulente Strömungen relativ zum SIMPLE-Algorithmus (Semi-Implicit Method for Pressure Linked Equations) das lokale Strömungsfeld um das Modell.
Das im "Guidebook for CFD Predictions of Urban Wind Environment" [3] des Architectural Institut of Japan (AIJ) veröffentlichte Benchmark-Beispiel E "Building complexes with simple building shape in actual urban area (Niigata)" zeigt eindrucksvoll, wie sich der Neubau von höheren Gebäuden auf das lokale Windströmungsfeld im Bereich der Passanten auswirkt.
Die lokale Windgeschwindigkeit steigt hier für den Lastfall Westwind mit einer globalen Windgeschwindigkeit von 3,93 m/s in der Referenzhöhe von 15,9 m über dem Stadtgelände hinter dem Gebäude von 1,3 m/s vor dem Bau auf 4,43 m/s nach dem Bau. Dies bedeutet eine zirka 3,4-fache Erhöhung der Windgeschwindigkeit mit einer einhergehenden Verschlechterung des Windkomforts für die Fußgänger auf dem Gebäudevorplatz.
Mit RWIND Simulation ist dieses sehr aussagekräftige Ergebnisset ohne großen Eingabeaufwand inklusive der Vernetzung auf einem Standardrechner ermittelt worden. Stadtplaner, Projektentwickler, Architekten und Ingenieure können mit solchen Ergebnissen auf den Windkomfort um ein zu planendes Gebäude schließen.