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26. Juni 2019

Erdbebenlasten auf Hochbauten in Deutschland

Für Deutschland gibt es die DIN EN 1998-1 mit dem nationalen Anhang DIN EN 1998-1/NA zur Ermittlung der Erdbebenlasten. Das Normpaket gilt für Hoch- und Ingenieurbauwerke in Erdbebengebieten.

Besondere Bauwerke wie Kernkraftwerke, Off-Shore-Bauwerke und große Talsperren werden mit diesen Regelungen nicht abgedeckt [1]. Erklärtes Ziel dieser Vorschriften ist es, dass bei einem Erdbeben

  • Menschliches Leben geschützt ist,
  • Schäden begrenzt und
  • Wichtige Bauwerke zum Schutz der Bevölkerung funktionstüchtig bleiben.

Naturgemäß stellt ein Erdbeben eine vom Baugrund induzierte Einwirkung auf den Baukörper dar. Die Einwirkung entspricht daher einer Gruppe von aufgezwungenen Verformungen oder Beschleunigungen. Um diese Einwirkung mit anderen Einwirkungen (Nutzlast, Schnee et cetera) in definierten Bemessungssituationen nach der Kombinationsnorm DIN EN 1990 zu kombinieren, ist die Einwirkung aus Erdbeben direkt als Erdbebeneinwirkung eingestuft.

Funktionsanforderungen

Tragwerke in Erdbebengebieten müssen bestimmten Anforderungen an die Standsicherheit und Schadensbegrenzung mit einer bestimmten Zuverlässigkeit erfüllen.

Dabei ist hinsichtlich der Standsicherheit sicherzustellen, dass das Tragwerk das definierte Bemessungserdbeben ohne örtliches und globales Versagen übersteht und dabei seinen inneren Zusammenhalt und Resttragfähigkeit aufrechterhält. Das bezogene Bemessungserdbeben ist in diesem Fall mit einer Referenz-Wiederkehrperiode von TNCR = 475 Jahre zu ermitteln [2]. Dies entspricht einer Wahrscheinlichkeit des Auftretens oder Überschreitens von 10 % innerhalb von 50 Jahren.

Zusätzlich ist hinsichtlich der Schadensbegrenzung sicherzustellen, dass das Gebäude auch Erdbeben mit einer höheren Auftretenswahrscheinlichkeit als das Bemessungserdbeben übersteht, ohne dass Schäden oder damit verbundene Nutzungsbeschränkungen, deren Kosten im Vergleich zu den Baukosten unverhältnismäßig hoch wären, auftreten [1]. Dieser Nachweis wird jedoch im deutschen nationalen Erdbebenanhang negiert.

Die angestrebte Zuverlässigkeit hinsichtlich der Standsicherheit und Schadensbegrenzung wird über eine Einteilung des betrachteten Gebäudes in eine Bedeutungskategorie erreicht. Mit dieser Bedeutungskategorie ergibt sich ein entsprechender Bedeutungsbeiwert γI, der als Modifikationswert der Referenz-Erdbebeneinwirkung zur Ermittlung des Bemessungserdbebens dient [1]. Die Bedeutungskategorie II entspricht der TNCR des Referenzerdbebens.

BedeutungskategorieBauwerkBedeutungsbeiwert γI
IBauwerke ohne Bedeutung für den Schutz der Allgemeinheit mit geringem Personenverkehr (Scheunen, Kulturgewächshäuser usw.)0,8
IIBauwerke, die nicht zu den anderen Kategorien gehören (kleinere Wohn- und Bürogebäude, Werkstätten usw.)1,0
IIIBauwerke, von deren Versagen bei Erdbeben eine große Zahl von Personen betroffen ist (große Wohnanlagen, Schulen, Versammlungsräume, Kaufhäuser usw.)1,2
IVBauwerke, deren Unversehrtheit im Erdbebenfall von hoher Bedeutung für den Schutz der Allgemeinheit ist (Krankenhäuser, wichtige Einrichtungen des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr, der Sicherheitskräfte usw.)1,4

Übereinstimmungskriterien - Grenzzustände

Um die definierten Funktionsanforderungen eines Gebäudes im Erdbebenfall zu erfüllen, sind die Grenzzustände der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit zu überprüfen.

Grenzzustände der Tragfähigkeit beschreiben für das betrachtete Gebäude mögliche Einsturzszenarien oder anderes Tragwerksversagen [1]. Zur Einhaltung ist die Duktilität hinsichtlich der Anforderungen und die Standsicherheit des Gesamtgebäudes inklusive aller Gründungsbauteile und des Baugrunds sicherzustellen.

Die Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit beschäftigen sich hingegen mit Schäden, die die Gebrauchstauglichkeit einschränken [1]. Für eine ausreichende Zuverlässigkeit gegen Schäden sind die einschlägigen Verformungsgrenzen sicherzustellen. Zusätzlich sind wichtige Gebäude zum Schutz der Bevölkerung entsprechend steif mit ausreichend Beanspruchbarkeit zur Aufrechterhaltung der wichtigsten Dienste auszuführen.

Duktilität

Generell führt ein Erdbeben einem Gebäude Energie zu und regt es zu Schwingungen an [2]. Die entsprechende Gebäudeschwingung sowie die Erdbebenlast hängen von den Gebäudeeigenschaften ab. Ein Gebäude kann hinsichtlich Erdbeben so ausgelegt werden, dass es vergleichsweise hohe einwirkende Kräfte mit einer geringen elastischen Verformung oder geringere einwirkende Kräfte mit größeren plastischen Verformungen abtragen kann. Die zweite Lösung führt zu einer wesentlich höheren Energiedissipation, was aber eine physikalisch nichtlineare Berechnung des Tragwerks erfordert. In der Praxis wird die Ausgewogenheit zwischen Beanspruchung und Energiedissipation über einen Verhaltensbeiwert q abhängig von einer bestimmten Duktilitätsklassifikation abgehandelt [1]. Je höher die Duktilitätsklasse, desto geringer wird die Erdbebenersatzbeanspruchung. Gleichzeitig steigt mit einer höheren Duktilitätsklasse jedoch die Anforderungen an die konstruktive Ausbildung zur Sicherstellung der Duktilität.

 Duktilitätsklasse des TragwerksVerhaltensbeiwerte q
Niedrig-dissipatives TragwerksverhaltenDCL (Niedrig)≤ 1,5
Dissipatives TragwerksverhaltenDCM (Mittel)Betonbauteile nach DIN EN 1998-1, Kapitel 5
Stahlbauten nach DIN EN 1998-1, Kapitel 6
Verbundbauten aus Stahl und Beton nach DIN EN 1998-1, Kapitel 7
Holzbauten nach DIN EN 1998-1, Kapitel 8
Mauerwerksbauten nach DIN EN 1998-1, Kapitel 9
DCH (Hoch)

Erdbebeneinwirkung

Die Erdbebennorm beschreibt die auftretenden Erdbewegungen an einem bestimmten Punkt auf der Erdoberfläche mit einem elastischen Bodenbeschleunigungs-Antwortspektrum (auch elastisches Antwortspektrum genannt). Das elastische Antwortspektrum ist bezüglich der aufgestellten Anforderungen zur Standsicherheit und Schadensbegrenzung identisch.

Da bei den meisten Tragwerken die seismische Einwirkung über eine nichtlineare Reaktion reduziert wird, ist zur Erfassung eine nichtlineare Berechnung notwendig [1]. Zur Vereinfachung kann man mit einer linearen Berechnung auf Basis eines mit dem Verhaltensbeiwert q modifizierten elastischen Antwortspektrums das duktile Verhalten der Gebäude erfassen. Das mit q modifizierte Antwortspektrum wird Bemessungsspektrum genannt [1]. Hierbei ist der Verhaltensbeiwert q auf eine 5 % viskose Dämpfung des Bauwerks bezogen.

BereichFunktion des Bemessungsspektrums Sd(T)
0 ≤ T ≤ TBagR ⋅ γI ⋅ S ⋅ [1 + T/TB ⋅ (2,5/q - 1)]
TB ≤ T ≤ TCagR ⋅ γI ⋅ S ⋅ 2,5/q
TC ≤ T ≤ TDagR ⋅ γI ⋅ S ⋅ 2,5/q ⋅ TC/T
TD ≤ TagR ⋅ γI ⋅ S ⋅ 2,5/q ⋅ (TC ⋅ TD)/T2

Sd(T) = Ordinate des Bemessungsspektrums
T = Schwingungsdauer eines linearen Einmassenschwingers
γI = Bedeutungsbeiwert
q = Verhaltensbeiwert
agR = Referenz-Spitzenwert der Bodenbeschleunigung
TB, TC, TD = Kontrollperioden des Antwortspektrums
S = Untergrundparameter

Der Referenz-Spitzenwert der Bodenbeschleunigung agR ist eine ortsspezifische Größe. Der Wert ergibt sich aus einer seismischen Gefährdungsbeurteilung der Bundesrepublik Deutschland. Zur Festlegung ist das Land abhängig von der örtlichen Gefährdung in entsprechende Erdbebenzonen 0 bis 3 unterteilt. In jeder Zone wird die Gefährdung konstant angenommen und mit einem entsprechenden Referenz-Spitzenwert der Bodenbeschleunigung agR hinterlegt [1].

ErdbebenzoneReferenz-Spitzenwert der Bodenbeschleunigung agR in m/s2
0keine Angabe
10,4
20,6
30,8
N/Akeine Angabe

Die für das Bemessungsspektrum definierten Kontrollperioden TB, TC, TD und der Untergrundbeiwert S sind ebenfalls ortsspezifische Größen und basieren auf einer am Bauort vorliegenden Kombination aus Baugrundklasse und geologischer Untergrundklasse [1].

UntergrundverhältnisseSTB in sTC in sTD in s
A-R1,000,010,202,0
B-R1,250,010,252,0
C-R1,500,010,302,0
B-T1,000,010,302,0
C-T1,250,010,402,0
C-S0,750,010,502,0

Der von der Scherwellengeschwindigkeit abhängige Baugrund ist in die Klassen A, B und C unterteilt [1]:

  • Baugrundklasse A
    • Unverwitterte (bergfrische) Festgesteine mit hoher Festigkeit
    • Dominierende Scherwellengeschwindigkeiten liegen höher als etwa 800 m/s
  • Baugrundklasse B
    • Mäßig verwitterte Festgesteine oder Festgesteine mit geringer Festigkeit
    • Grobkörnige (rollige) oder gemischtkörnige Lockergesteine mit hohen Reibungseigenschaften in Dichter Lagerung oder fester Konsistenz (zum Beispiel glazial vorbelastete Lockergesteine)
    • Dominierende Scherwellengeschwindigkeiten liegen etwa zwischen 350 m/s und 800 m/s
  • Baugrundklasse C
    • Stark bis völlig verwitterte Festgesteine
    • Grobkörnige (rollige) oder gemischtkörnige Lockergesteine in mitteldichter Lagerung oder in mindestens steifer Konsistenz
    • Feinkörnige (bindige) Lockergesteine in mindestens steifer Konsistenz
    • Dominierende Scherwellengeschwindigkeiten liegen etwa zwischen 150 m/s und 350 m/s

Der zwischen Fels und Sediment wechselnde geologische Untergrund ist in Untergrundklassen R, T und S unterteilt [1]:

  • Untergrundklasse R
    • Gebiete mit felsartigem Gesteinsuntergrund
  • Untergrundklasse T
    • Übergangsbereiche zwischen den Gebieten der Untergrundklasse R und der Untergrundklasse S sowie Gebiete relativ flachgründiger Sedimentbecken
  • Untergrundklasse S
    • Gebiete tiefer Beckenstrukturen mit mächtiger Sedimentfüllung

Ermittlung des örtlichen Referenzspitzenwerts der Bodenbeschleunigung und der Untergrundklasse

Das Dlubal Geo-Zonen-Tool auf Schneelastzonen, Windzonen und Erdbebenzonen vereint die Normung mit der digitalen Technik des Internets. Dieses Tool legt abhängig von der gewählten Lastart (Schnee, Wind, Erdbeben) und der landesspezifischen Normung die jeweilige Zonenkarte über die digitale Google-Maps-Landkarte. Über die Suche kann der Anwender mit Angabe der Bauortadresse, der Geokoordinaten oder der örtlichen Gegebenheiten einen Marker auf den geplanten Bauort setzen. Die Anwendung ermittelt dann über die exakte Höhe über Meeresniveau und die gegebenen Zonendaten die charakteristische Last beziehungsweise Beschleunigung an dieser Stelle. Kann der neue Bauort noch nicht über eine eindeutige Adresse definiert werden, kann die Karte vergrößert und der Fokus an den richtigen Bauort verschoben werden. Die Berechnung passt sich mit Absetzung des Markers an die neue Höhenlage an und gibt die aktuellen Lasten aus.

Zu finden ist der Online-Dienst auf der Dlubal-Website unter Lösungen → Online-Dienste.

Mit Vorgabe der Parameter...

1. Lastart = Erdbeben
2. Norm = EN 1998-1
3. Kartenebene = Erdbebenzone oder geologische Untergrundklasse
4. Anhang = Deutschland | DIN EN 1998-1
5. Adresse = Domkloster 4, Köln

...erhält man für die ausgewählte Stelle:

6. Die Erdbebenzone
7. Die geologische Untergrundklasse
8. Gegebenenfalls Zusatzhinweise
9. Den Referenzspitzenwert der Bodenbeschleunigung agR


Autor

Herr Niemeier ist für die Entwicklung von RSTAB, RFEM, RWIND Simulation und den Bereich Membranbau zuständig. Zudem beschäftigt er sich mit Qualitätssicherung und Kundensupport.

Links
Referenzen
  1. Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben - Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hochbauten; EN 1998-1:2004/A1:2013
  2. Albert, A.: Schneider - Bautabellen für Ingenieure mit Berechnungshinweisen und Beispielen, 23. Auflage. Köln: Bundesanzeiger, 2018
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