Problemstellung
Im Allgemeinen werden Bauwerke nicht in einem Guss, sondern etappenweise hergestellt. Aus statischer Sicht werden während des Bauablaufs einzelne Tragwerksteile zu einer Struktur zusammengeführt. Spätestens bei Beendigung des Bauablaufes ist das für den Endzustand konzipierte Tragwerk vorhanden. Vor Erreichen des Endzustandes und über den Bauablauf hinweg befindet sich das Tragwerk in verschiedenen Bauzuständen.
Mit dem Hinzufügen von Tragwerksteilen zur Struktur im Bauzustand wird deren Eigengewicht aktiv. Das wirksame Eigengewicht muss entweder von der Struktur selbst oder von Hilfskonstruktionen aufgenommen und in den Baugrund abgeleitet werden. Das trifft auch für zeitlich begrenzte Lasten zu, welche während des Bauablaufes infolge des zur Anwendung kommenden Bauverfahrens oder umweltbedingt auftreten können. Welche Tragwerksteile wirken und in welchem statischen System sie wirken, ist dabei ebenfalls abhängig von Bauverfahren und Bauablauf. Je nachdem, ob die Struktur oder einzelne Teile zum Lastabtrag im Bauzustand herangezogen werden, sind die Tragwerksteile des Bauwerks schon vor dem Endzustand Beanspruchungen ausgesetzt, aus denen Verformungen resultieren.
Möglichkeiten in RFEM
In RFEM stehen zwei wesentliche Möglichkeiten zum Abbilden beziehungsweise zur Berücksichtigung von Bauzuständen im Hochbau zur Verfügung. Zum einen mittels des Zusatzmoduls RF-STAGES, zum anderen bietet RFEM die Möglichkeit, einzelne Strukturelemente in Lastfällen und Lastkombinationen zu deaktivieren.
Im Zusatzmodul RF-STAGES wird die Berechnung der Struktur über die einzelnen Bauzustände mittels nichtlinearer FEM realisiert. Das Verfahren ist in der Lage, Nichtlinearitäten und Umlagerungen infolge des Entfernens von Strukturelementen zu berücksichtigen. Es wird ein Gleichungssystem erzeugt, welches dann in den einzelnen Zuständen in Abhängigkeit der getroffenen Festlegungen modifiziert und berechnet wird. Es handelt sich dabei um eine iterative Berechnung. Die Gleichgewichtsbedingungen müssen für jeden Zustand erfüllt sein.
[K(u)] ∙ {u} = {F}
K…Steifigkeitsmatrix
{u}…Verformungsvektor
{F}…Kraftvektor
In RFEM besteht die Möglichkeit, einzelne Strukturelemente (Stäbe, Flächen, Volumenkörper, Knotenlager, Linienlager Flächenlager) für einen Lastfall oder eine Lastkombination zu deaktivieren. Mit dieser Option können einfache Bauzustände abgebildet werden, also beispielsweise ein sich aufbauendes lineares System. Für jeden zu berücksichtigenden Bauzustand ist ein separater Eigenlastfall beziehungsweise ein Lastfall mit den permanenten Lasten anzulegen. In RFEM ist in den Berechnungsparametern des Lastfalls der Registerreiter "Deaktivieren" zu aktivieren. Im anschließend erscheinenden Register sind die jeweiligen Strukturteile zu deaktivieren, die zum Zeitpunkt des Bauzustandes noch nicht wirksam sind.
Die Ergebnisse der einzelnen Zustände können später in einer Ergebniskombination überlagert werden. Bei dieser Vorgehensweise ist zu beachten, dass es sich um eine lineare Überlagerung von Ergebnissen einzelner Zustände, die am unverformten System berechnet werden, handelt.
Vergleich der Möglichkeiten anhand eines Beispiels
Beide Methoden sollen anhand eines gewöhnlichen Beispiels aus dem Hochbau miteinander verglichen werden. Bei dem Beispiel handelt es sich um ein vierstöckiges Stahlbetonbauwerk, welches in vier Zuständen betrachtet wird. Die einzelnen Stockwerke werden nacheinander aufgebaut, wobei kein Tragwerksteil während des Baufortschrittes entfernt wird.
Ergebnis (max uZ [mm] | Modell):
7,06 | Modell mit RF-STAGES
7,06 | Modell RFEM mit Bauzuständen
7,89 | Modell RFEM ohne Bauzustände
Fazit
Das Beispiel zeigt, dass es mittels Deaktivieren von Strukturelementen möglich ist, einfache Bauzustände des Hochbaus in RFEM abzubilden. Trotz grundlegend unterschiedlicher Methodik werden für die Struktur in RFEM und RF-STAGES gleiche Verformungen ermittelt. Das Beispiel zeigt außerdem, dass die Berücksichtigung der Bauzustände für eine Struktur mit vier Stockwerken einen wahrnehmbaren Einfluss auf die Verformungen infolge Eigen- und Ausbaulast hat. Unter Berücksichtigung der Bauzustände ergeben sich in etwa zehn Prozent geringere Verformungen als bei der Berechnung am Gesamtmodell.