Faszination Bauwesen: Von Kindesbeinen an
Unser heutiger Gast Simone Stürwald ist an der Ostschweizer Fachhochschule tätig und dort Professorin für nachhaltigen Beton und nachhaltige Tragwerke. Sie beschäftigt sich seit etwa 20 Jahren bereits mit dem Betonbau.
- „Ich möchte gerne dazu beitragen, diesen Sektor nachhaltiger zu gestalten.“
Ihre Eltern haben in ihrem Wohnort regelmäßig Umbauten vorgenommen und schon als Kind faszinierte sie das sehr. Da sie doch eher der mathematische Typ ist, hat sie sich anstatt der Architektur für ein Bauingenieur-Studium entschieden. Besonders gefällt ihr daran das Tüfteln an Lösungen für Probleme, wann immer welche auftreten sollten.
Aktuell lehrt sie an der Fachhochschule Betontechnologie und klassischen Massivbau sowie das Modellieren, z.B. mit der FE-Methode. Zusätzlich leitet sie eine Materialprüfstelle, die Qualitätsuntersuchungen zu Gesteinskörnungen und Betonprodukten durchführt, um die regionale Baubranche zu unterstützen. Abgesehen von diesen Aufgaben ist sie auch in der Forschung und Entwicklung ihrer Fachhochschule tätig. Ganz schön viel zu tun, wie wir finden!
Kann Beton nachhaltig sein?
Nun kommen wir zum großen Thema dieser Folge: Beton und Nachhaltigkeit in einem Satz zu nennen, scheint zunächst an der heutigen Zeit vorbeizugehen. Simone ist der Ansicht, dass allein der Begriff Nachhaltigkeit schwer zu definieren ist. Bei einer Sache ist sie sich aber sicher: Nachhaltiger als aktuell geht es auf jeden Fall.
Sie erklärt uns, dass 90 % der CO2-Emissionen durch Beton der Zementproduktion zugeschrieben werden können, obwohl Zement nur etwa 12 % des fertigen Betons ausmacht. Gerade Zement hat also eine große Auswirkung auf Nachhaltigkeit von Beton. Der Transport fällt da nicht allzu sehr ins Gewicht. So nachhaltig wie Holz wird Beton als Baustoff sicher nicht werden, aber in vielen Bereichen ist die Verwendung von Beton einfach notwendig.
Auf europäischer Ebene soll Zement bis 2050 klimaneutral werden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber es gibt bereits Strategien, wie dieses Ziel erreicht werden könnte.
CO2 bei der Betonherstellung einsparen
Zement wird bekanntlich auf etwa 1500 °C erhitzt, also gebrannt. Die dabei verwendeten Brennstoffe sind natürlich ein Problem. Ein weiteres Problem ist die Verbrennung von Kalkstein. Denn während dieses Vorgangs wird eine Menge CO2 freigegeben, auch geogenes oder steinernes CO2 genannt. Dieses CO2 muss aus dem Stein entweichen, damit der Zement im Nachhinein reaktiv ist und genutzt werden kann. 60 % des CO2 kommen aus dem Stein, 40 % aus den Brennstoffen.
Simone erklärt, dass man natürlich die Brennstoffe optimieren kann. Beispielsweise, indem man Materialien nutzt, die sowieso an anderer Stelle verbrannt würden, wie z.B. Altreifen. Die 60 % aus dem Gestein direkt kann man leider nicht beeinflussen.
Eine andere Möglichkeit wäre es, die Menge an Zement im Beton zu minimieren. Bei der Betonherstellung geht es darum, eine ideale Sieblinie zu finden. Die Zwischenräume der einzelnen Gesteinskörner werden durch das Wasser-Zement-Gemisch als Bindemittel aufgefüllt. Bei einer idealen Sieblinie sind diese Zwischenräume möglichst klein, damit man so wenig Zement wie möglich verbrauchen muss. Hier lassen sich gut 40 % an Zement einsparen, ohne eine geringere Druckfestigkeit befürchten zu müssen.
Auch ein alternatives Bindemittel könnte eine Lösung sein. Schließlich gibt es diese mineralische Zusammensetzung auch in anderen Materialien. Genutzt werden könnten beispielsweise Flugaschen oder Microsilica. Es gibt in Afrika und Asien bereits Projekte, bei denen landwirtschaftliche Abfälle wie Reisschalen zu etwas ähnlichem wie Flugasche verarbeitet werden. Zumindest teilweise funktioniert hier der Ersatz von Zement.
- „Wenn man das alles ein Stück weit kombiniert, dann kommt man von diesen hohen CO2-Mengen deutlich runter.“
Wieso aber nutzt man das nicht schon mehr in der Baubranche? Ein Problem sind hier wie so oft die Normen. Es sind nur Zemente mit einer bestimmten Zusammensetzung zugelassen und es gibt Mindest-Zementmengen für eine Konstruktion. Hier gibt es noch zu überwindende Hindernisse in der Umsetzung. Die Forschung beschäftigt sich dagegen schon länger mit diesen Themen.
Neue Wege für die Baubranche
Das Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit hat mittlerweile auch im Bauwesen Anklang gefunden. Beispielsweise wird im Bereich Holzbau intensiv daran gearbeitet, so viele Einsatzmöglichkeiten wie möglich zu finden. Allerdings hat Holz als Baumaterial seine Grenzen. Es ist nicht in jedem Bauteil dauerhaft oder hält dem notwendigen Druck stand. Zwar gibt es im Holzbau für vieles bereits Lösungen, aber bei einigen Konstruktionen ist Holz nicht gerade ein idealer Werkstoff.
Unterirdisch z.B. lassen sich Holz und Mauerwerk nur bedingt verwenden, zumindest als Außenhülle. Die Feuchtigkeit im Boden macht Alternativen zum Beton nur schwer umzusetzen. Auch für Fundamente gilt, dass wir um Beton künftig wohl nicht herumkommen werden. Ähnlich ist es auch bei Brücken, gerade, wenn sie großen Belastungen standhalten müssen, wie z.B. bei Autobahnbrücken. Schallschutz- und Brandschutzauflagen lassen sich beispielsweise auch einfacher mit Beton umsetzen.
Werden Alternativen zu herkömmlichem Beton mehr kosten? Diese Frage lassen wir uns natürlich nicht nehmen und Simone bestätigt unsere Vermutung. Sie erklärt uns, dass diese Mehrkosten allerdings im einstelligen Bereich liegen. Zudem ist ein Prototyp oder ein Produkt, das sich noch in der Entwicklung befindet, automatisch etwas teurer als es später wäre, wenn es auf den Massenmarkt kommt.
Einfacheres Bauen
In diesem Zusammenhang spricht Simone vom Trend hin zum einfacheren Bauen. Auf unsere Nachfrage hin schildert sie uns, dass es darum geht, für z.B. Wände wieder ein einziges Material zu nutzen. Anstatt also weiterhin auf Mischbaustoffe zu bestehen, weist sie uns auf Lehm, Mauerwerk oder andere innovative Baustoffe hin. Aufgrund des einen verwendeten Baustoffs lässt sich die Konstruktion am Ende auch besser recyceln, als wenn man einen Mischbaustoff vor sich hat.
Das einfache Bauen punktet durch weniger Komplexität dank weniger verwendeten Schichten im Bauwerk. Auch einfachere Grundrisse und weniger Spannweiten vereinfachen das Bauen erheblich.
Recycling von Beton
Wir haben uns gefragt, ob Beton vielleicht auch recycelbar ist. Das würde schließlich vieles vereinfachen. Überraschenderweise erklärt uns Simone, dass Recycling von Beton in ihrer Region sogar vollkommen üblich ist. Beton, der einen großen Recycling-Anteil hat, wird oft als Mager- oder Füllbeton eingesetzt. Bei Wänden und Decken wird ebenfalls viel mit recyceltem Beton gearbeitet. Aktuell ist dieser spezielle recycelbare Beton in seiner Zusammensetzung noch recht variabel. Es wird allerdings daran gearbeitet, dessen Eigenschaften stetig weiter zu verbessern.
In der Schweiz wird bereits seit Jahren Beton sortenrein recycelt, wenn ein Gebäude abgerissen wird. Momentan steht so etwas in Deutschland oft noch immer zur Diskussion.
Zukunft des Bauwesens
Simone lässt uns wissen, dass sie unterstützende Systeme wie BIM für die Tragwerksplanung sehr begrüßt. Sie betont, dass man durch ein Modell im Vorhinein genau sagen kann, welche Variante eines Bauwerks mit bestimmten Materialien am nachhaltigsten und kostengünstigsten geplant werden kann. Dadurch erreicht man schnell und effizient die besten Ergebnisse.
Einerseits kann man für mehr Nachhaltigkeit natürlich die verwendeten Baustoffe optimieren, wie es beim Thema Beton bereits erforscht wird. Andererseits steigt natürlich auch das Interesse an effizienten Tragwerken.
Hier würde es sich anbieten, verschiedene Möglichkeiten durchzugehen, wie Wände und Stützen für ein Tragwerk am besten eingesetzt werden können, um die gewünschte Nutzfläche mit erhofften Eigenschaften zu schaffen. Dabei sieht Simone auch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Optimierung als große Chance für mehr Effizienz beim Bauen.
Sie geht außerdem darauf ein, dass wir in den letzten gut 25 Jahren viel gebaut haben. Ihrer Meinung nach wird sich dieser Trend eher nicht auf diese Weise fortsetzen. Der aktuelle Geldmarkt und auch Anreizsysteme zur Nachhaltigkeit lassen eher in Richtung Erhaltung und Arbeit mit dem Bestand blicken.
Des Weiteren schätzt sie Hybridtragwerke als zukunftsweisend ein. Es ist wichtiger, jeden Baustoff optimal einzusetzen und sich nicht wegen der Kosten oder der einfachen Verarbeitung allein auf einen davon zu konzentrieren. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Baustoff nachhaltig ist und technisch an dieser Stelle funktioniert. Gerade die digitale automatisierte Vorfertigung oder den Druck von Bauteilen sieht sie als eine gute Möglichkeit an, um Material so effizient wie möglich einzusetzen.
Simone würde sich wünschen, dass beim Bauen nicht nur auf Geld geachtet wird, sondern auch mehr auf die Nachhaltigkeit. Dafür bräuchten wir allerdings auch bessere Ausbildungen unserer Ingenieure in dieser Richtung. Da stimmen wir ihr ganz klar zu.
Wir fassen zusammen: Beton ist also nicht zwingend ein Klimakiller. Es gibt bereits Möglichkeiten, Betonbau effizienter und nachhaltiger zu gestalten, die Forschung benötigt einfach noch etwas mehr Zeit.
Simone, was ist dein Lieblingsbauwerk?
Auch Simone stellen wir unsere Abschlussfrage nach ihrem liebsten Bauwerk. Sie nennt uns kein Gebäude, sondern einen Baumeister: Santiago Calatrava. Seine Bauwerke sind weltweit bekannt und wirklich wunderschön anzusehen. Daher können wir ihre Wahl absolut verstehen.
Vielen Dank, dass du bei unserem Podcast zu Gast warst! Wir freuen uns schon auf unsere nächste Folge. Ihr auch? Dann lest oder hört gerne wieder rein, wenn es heißt: Digitales und Innovatives aus dem Ingenieurbau!