In Abschnitt 8.4.1 [1] sind die Stabilitätsanforderungen aufgelistet, die der Tragwerksnachweis mit beiden Verfahren erfüllen sollte. Dazu gehören Verformungen, die zur Struktur beitragen, Auswirkungen nach Theorie II. Ordnung einschließlich P-Δ und P-δ, globale Imperfektionen sowie geometrische Imperfektionen von Stäben, Steifigkeitsabminderung von Fließ- und Restspannungen bei Stäben und schließlich Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Steifigkeit und des Materials Festigkeit berechnet werden.
Abschnitt 8.4.3 - Vereinfachtes Stabilitätsanalyseverfahren
Mit dem in 8.4.3 [1] angegebenen vereinfachten Stabilitätsanalyseverfahren werden nur einige Anforderungen aufgelistet.
Geometrische Nichtlinearitäten
Die erste beinhaltet Stabeffekte aus Theorie II. Ordnung bzw. P-Δ, die direkt in der Analyse berücksichtigt werden können. Ein Berechnungsverfahren nach Theorie II. Ordnung haben heutzutage die meisten Statiksoftware-Programmen integriert. Die Alternative ist, alle aus einer Analyse nach Theorie I. Ordnung ermittelten Stablasten und Biegemomente mit dem in 8.4.3.2 (b) [1] definierten Faktor U2 zu vergrößern. Dieser Ansatz eignet sich besser für Handrechnungen oder wenn die Statiksoftware P-Δ-Effekte nicht automatisch berücksichtigt.
Geometrische Imperfektionen
Der zweite Punkt sind die fiktiven Lasten, die unter dem vereinfachten Verfahren in Abschnitt 8.4.3.3 [1] aufgelistet werden. Die aufgebrachte Last entspricht dem 0,005-fachen der gesamten mit Beiwerten versehenen Gravitationslast im betrachteten Geschoss und sollte ähnlich wie die Gravitationslast verteilt werden. Fiktive Lasten werden immer in der Richtung angesetzt, die den größten destabilisierenden Effekt erzeugt. Das bedeutet, dass solche Lasten in der gleichen Richtung wie eine seitliche Windlast aufgebracht werden sollten, um die höchsten Verformungen und Schnittgrößen am Tragwerk zu erzeugen.
Anhang O.2 – Stabilitätseffekte in der elastischen Berechnung
Alternativ zu dem oben beschriebenen vereinfachten Ansatz der Stabilitätsanalyse kann der Anhang O.2 verwendet werden, um die Stabilitätsanforderungen gemäß Abschnitt 8.4.1 [1] zu erfüllen. Dieser Ansatz wurde in die Normversion 2019 aufgenommen und hat viele Ähnlichkeiten mit dem US-Stahlbauhandbuch AISC 360-16 Kap. C Direkte Berechnungsmethode.
Geometrische Nichtlinearitäten
Geometrische Nichtlinearitäten bzw. Auswirkungen nach Theorie II. Ordnung werden in O.2.2 [1] behandelt. Wie das vereinfachte Verfahren kann auch eine Berechnung nach Theorie II. Ordnung direkt durchgeführt werden, welche die Auswirkungen von Lasten auf Stäbe' verschobene Kreuzungspunkte (P-Δ-Effekte) einbezieht. Zusätzlich sind die Auswirkungen von Längslasten auf die ausgelenkte Stabform entlang der Länge zu berücksichtigen (P-δ). Bestimmungen sind in O.2.2 [1] gegeben, wo P-δ gänzlich vernachlässigt werden kann. Wird P-δ hingegen direkt in die Analyse einbezogen, so kann der in Abschnitt 13.8 - Axialdruck und Bemessung von biegebeanspruchten Bauteilen [1] verwendete Faktor U1 auf 1.0 gesetzt werden.
Geometrische Imperfektionen
Geometrische Stabimperfektionen wie Stabkrümmung oder lokale geometrische Imperfektionen wie Bauteilkrümmung bei Stäben müssen nicht berücksichtigt werden, wenn nach Absatz O.2 [1 beilegen. Globale geometrische Imperfektionen sollten jedoch direkt bei der Modellierung oder unter Verwendung von fiktiven Lasten berücksichtigt werden. Es gibt allerdings die Ausnahme, dass diese globalen geometrischen Imperfektionen für seitliche Lastkombinationen nur dann vernachlässigt werden können, wenn sie die Anforderungen des Abschnitts O.2.3.1 [1] erfüllen. Die Anforderungen beinhalten, dass die Schwerkraftlasten der Struktur' hauptsächlich von vertikalen Strukturelementen aufgenommen werden und dass das Verhältnis zwischen der maximalen Stockwerksverschiebung 2.Ordnung zur Stockwerksverschiebung 1.Ordnung unter Verwendung einer reduzierten Stabsteifigkeit gemäß Abschnitt O.2.4 [1] überschreitet 1,7 auf keiner Geschossebene.
Wenn man diese Imperfektionen nicht vernachlässigen kann, kann die erste Methode der direkten Modellierung verwendet werden. Stabschnittpunkte sollten von ihren ursprünglichen Positionen verschoben werden. Die Größe dieser Anfangsverschiebung ist in Abschnitt 29.3 [1] angegeben und wird in der größten destabilisierenden Richtung angesetzt, die für die meisten Gebäudestrukturen eine Toleranz von 1/500 für Stützenschiefstellung ausmacht. Lot. Das wesentliche Problem bei dieser Methode ist die hohe Anzahl an zu berücksichtigenden Modellszenarien. Theoretisch werden auf jeder Geschossebene vier Verschiebungen in die vier verschiedenen Richtungen benötigt. Werden Stabkrümmungseffekte mit Stützenschiefstellung gekoppelt, so kommen noch viele weitere Modellszenarien hinzu, um den größten destabilisierenden Effekt zu erzielen.
Die alternative und bevorzugte Methode für globale geometrische Imperfektionen ist die Anwendung von fiktiven Lasten. Diese Methode ist nur zulässig, wenn die Gravitationslasten überwiegend von vertikalen Bauteilen aufgenommen werden. Fiktive Lasten wurden bereits weiter oben behandelt und werden analog der vereinfachten Stabilitätsanalyse in Abschnitt 8.4.3.2 [1] angesetzt. Allerdings wird beim relevanten Geschoss die Größe von dem 0,005-fachen auf das 0,002-fache der mit Beiwerten versehenen Gravitationslast reduziert. Die Abminderung bezüglich der Größe ist gemäß Abschnitt O.2.3.3 zulässig, da diese fiktiven Lasten nur globale geometrische Imperfektionen berücksichtigen, während fiktive Lasten gemäß Abschnitt 8.4.3.2 [1] auch berücksichtigt werden Unelastizitätseffekte und andere Unsicherheiten.
Unelastizitätseffekte
Um Unelastizitätseffekte zu berücksichtigen und auch um Ausgangsimperfektionen bei Stäben bzw. lokale geometrische Imperfektionen sowie Unsicherheiten bezüglich Steifigkeit und Festigkeit in Betracht zu ziehen, wurde die reduzierte axiale Stab- und Biegesteifigkeit nach folgenden Gleichungen in Abschnitt O.2.4 [1 ] sollte auf Stäbe angewandt werden, die zur seitlichen Stabilität beitragen.
(E A)r = 0,8 τb E A
(E I)r = 0,8 τb E I
Dabei ist
Cf / Cy < 0,5 ; τb = 1,0
Cf/Cy > 0,5 ; τb = 4
Cf/Cy (1 - Cf/Cy )
Um lokale Verzerrungen zu vermeiden, schlägt die Norm vor, diese Steifigkeitsreduzierung auf alle Stäbe anzuwenden. Darüber hinaus sollte eine Abminderung der Steifigkeit in Betracht gezogen werden, wenn die Schubsteifigkeit (GA) und die Torsionssteifigkeit (GJ) wesentlich zur seitlichen Stabilität beitragen. Die Steifigkeitsabminderung sollte bei der Analyse von Auslenkungen, Durchbiegungen, Schwingungen oder Eigenschwingungen nicht angewendet werden.
Anwendung von Anhang O.2 in RFEM
Das FEM-Programm RFEM hat die neuesten Stabilitätsanforderungen der Norm CSA S16:19 gemäß den neuen Bestimmungen des Anhangs O.2 eingebaut.
Geometrische Nichtlinearitäten
Die in Abschnitt O.2.2 [1] dargestellten Einflüsse aus Theorie II. Ordnung werden für jeden Lastfall und jede Lastkombination direkt berücksichtigt, wenn die Berechnungsmethode auf "Theorie II. Ordnung" eingestellt ist.
Für die Stabuntersuchung werden nicht nur P-Delta-Effekte berücksichtigt, sondern auch P-δ. Daher kann im Bemessungsmodul RF-/STAHL CSA der Faktor U1 wie in Abschnitt 13.8 angegeben direkt auf 1.0 gesetzt werden.
Geometrische Imperfektionen
Optional ist es möglich, globale geometrische Imperfektionen durch Verschieben von Punkten oder Knoten von Stabschnittpunkten direkt zu modellieren. Damit diese Methode jedoch den größten destabilisierenden Effekt erzeugt, müssen mehrere Modelle mit verschiedenen Szenarien durchgeführt werden. Das ist ziemlich zeitaufwendig und umständlich.
Ein alternativer Ansatz ist es, fiktive Lasten mit den Imperfektionsoptionen in RFEM anzusetzen. In dem entsprechenden Dialog ist die CSA S16:19 in den Dropdown-Optionen enthalten. Die fiktive Last wird auf das Stabende (d. h. Stützenoberseite) mit einer Größe gleich 0.002 (bzw. 0.005 bei Verwendung der vereinfachten Stabilitätsmethode) multipliziert mit der Stabnormalkraft' (angewendete Stabgewichtslast) aufgebracht. Am entgegengesetzten Stabende wird intern die gleiche entgegengesetzte Kraft aufgebracht, um unrealistisches Abscheren unten am Tragwerk zu vermeiden.
Diese Imperfektionslastfälle können in RFEM mit spezifischen seitlichen Lastfällen angesetzt werden, um die größte destabilisierende Wirkung zu erzeugen und gleichzeitig die Generierung von Lastkombinationen zu vermeiden, die nicht maßgebend sind und die Berechnungszeit weiter erhöhen (d. h. fiktive Lasten in X-Richtung sollten nur bei Windlasten in X-Richtung angesetzt werden). Zusätzlich können Imperfektionen für Lastkombinationsregeln wie Gebrauchstauglichkeit komplett ausgeschaltet werden, während sie weiter bei Festigkeitskombinationen angewendet werden.
Unelastizitätseffekte
Unter "Steifigkeit modifizieren" kann man jetzt die Norm CSA S16:19 einstellen. Bei dieser Option werden der Modifikationsfaktor 0,8 und der berechnete τb-Faktor direkt auf die axiale Steifigkeit und die Biegesteifigkeit des Stabes angewandt. Anwender haben auch die Möglichkeit, diese Abminderungen auf die Torsions- und Schubsteifigkeit des Stabes anzusetzen.
Da die Reduzierung der Stabsteifigkeit bei der Bemessung der Gebrauchstauglichkeit (d. h. Durchbiegungen) nicht berücksichtigt werden sollte, ermöglicht RFEM dem Benutzer, alle Stabsteifigkeitsänderungen für Gebrauchstauglichkeits-Lastkombinationen auszuschalten, während dies für Festigkeits-Lastkombinationen aktiv zu lassen.
Zusammenfassung
Wesentliche Aktualisierungen zur Stabilitätsbemessung gemäß Anhang O.2 des neuesten kanadischen Stahlbemessungshandbuchs CSA S16:19 sind nun vollständig in den Ablauf der RFEM-Analyse integriert. Die Updates beinhalten vor allem die Möglichkeit, sowohl fiktive Lasten als Imperfektionen als auch reduzierte Stabsteifigkeiten nach CSA S16:19 zu berücksichtigen. Um die neuen Updates in einem ausführlichen Beispielvideo zu sehen, können Sie sich das Webinar CSA S16:19 Stahlbemessung in RFEM (in Englisch) anschauen.