Von Fragezeichen zu Handbüchern
Jasmin Simader hat Bauingenieurwesen an der FH in Deggendorf studiert, da es gut zu ihren Stärken am Gymnasium gepasst hat. Keine unbedingt bewusste Entscheidung also, aber – wie sie sagt – im Nachhinein die richtige. Neben anfänglichen Schwierigkeiten im Studium hat sie sich immer wieder Mentoren gesucht, sich nach und nach das nötige Verständnis zur Statik erarbeitet. Letztendlich wurde aus etlichen Fragezeichen doch noch Spaß an der Arbeit mit Statik. Erfahrungen, die sie auch gerne an andere weitergibt.
Aktuell arbeitet sie in der Anlagentechnik, also in der Großindustrie und dem Stahlwerkebau. Gerade in internationalen Projekten findet sie eine gewisse Vielfalt und nimmt verschiedenste Herausforderungen nur zu gerne an. Neben Schulungsunterlagen und Handbüchern erstellt sie auch Exceltools, die quasi vom Projektabwickler, Verkäufer oder Statiker verwendet werden können.
Statik macht Spaß!
Unser Dlubal Software Motto findet auch bei ihr absoluten Anklang und das freut uns natürlich sehr. Was sie am meisten an Statik begeistert? Da muss sie nicht lange überlegen. Man kann alles berechnen. Es sei faszinierend und sehr befriedigend, zu sehen, wie sich die Grundprinzipien, auf denen unsere Welt basiert, dank der Physik umsetzen lassen.
Sie selbst geht davon aus, dass sich Wissen am besten vermitteln lässt, wenn man Bilder zur Hilfe nimmt. Da können wir nur zustimmen. Hat man die Bilder verstanden, kann man in Formeln einsteigen oder darauf aufbauen. Wie verformt sich ein Tragwerk? Wie wirken sich Schwingungen aus? Hier sind Alltagsbeispiele, wie eine Schaukel, zunächst wesentlich hilfreicher als irgendeine Formel.
- "Ich mache auch gerne Exceltools, weil ich oft sehe, dass Standardprozesse immer und immer wieder von einem Statiker bedient werden müssen. Ich persönlich bin sehr faul und bei Arbeiten, die sehr ähnlich sind, will ich meine Zeit gerne für etwas anderes verwenden."
Sie erleichtert damit sich selbst und vielen anderen die Arbeit erheblich. Ihre Exceltools rechnen die Konstruktionen durch, machen die Bemessungen der Träger und Detailanschlüsse. Der Verkauf muss eigentlich nur noch die Umgebungsdaten eingeben, wie bei Erdbeben etwa, und bekommt dann vollständige richtige Bemessung, Fundamentlasten und Anschlüsse. Mit solchen Tools arbeitet jeder gerne.
Statik und Tragwerksplanung als Männerdomäne
Die männliche Vorherrschaft in technischen Berufen hält sich noch immer als hartnäckiges Vorurteil. Wie sieht es in Statik und Tragwerksplanung aus? Jasmin geht davon aus, dass es sehr auf den Bereich der Branche ankommt. In Statikbüros sind die Frauenanteile bereits höher als beispielsweise im Anlagenbau, wo es doch sehr maschinenbaulastig ist. Sie hat selbst noch nie eine andere Frau in diesem Statik-Bereich angetroffen. Aber woran liegt das?
Hier weist Jasmin darauf hin, dass oftmals eine gewisse Vorbildfunktion fehlt. Im Bekanntenkreis und Freundeskreis gibt es oft keine Frauen, die eine solche Funktion einnehmen könnten. Es beginnt oft schon damit, dass Männer im Studium gar keine Mitstudentinnen haben. Dadurch entsteht schnell der Eindruck, Technik sei eine reine Männerwelt.
Es kommen die üblichen Probleme zum Tragen. Männer neigen eher zur Selbstüberschätzung ihrer Leistungen. Berufliche Konflikte werden schneller persönlich, da viele Männer es nicht ertragen, wenn eine Frau sie korrigiert oder auf alternative Wege hinweist. Vor allem, so schildert Jasmin, habe sie das bei älteren Männern erlebt. Hier wird jahrelange Erfahrung über best practice gestellt. Das passiert allerdings nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch jungen Männern.
Veraltete Rollenmodelle als Standard
Sind also gerade die älteren Generationen schuld daran, dass Frauen der Eintritt ins Bauwesen erschwert wird? Jasmin hat darauf eine deutliche Antwort.
- "Früher war es ja auch so, dass man als Frau den Mann fragen musste, ob man überhaupt arbeiten gehen darf. Ich glaube einfach, diese Bilder sind in den Köpfen noch sehr verankert."
Auf Frauen kommen wesentlich mehr Herausforderungen zu, wenn sie sich für einen technischen Beruf entscheiden. Erst, wenn diese Männer bspw. Töchter haben, die auch in technischen Berufen arbeiten, nehmen sie solche Herausforderungen überhaupt bewusst wahr. Jasmin berichtet, dass diese Probleme bereits bei Kleinigkeiten beginnen. Beispielsweise ist in einer Vereinbarung für Seminare alles Mögliche geregelt. Aber für Frauen ist nicht einmal entschieden, was im Fall von Schwangerschaft und Mutterschutz passiert.
Auch die Suche nach Mentoren kann problematisch sein. Frauen gibt es da eher selten und Männer können auf vielen Themengebieten meist gar nicht beraten. Wie bringt man zum Beispiel Familie und Beruf unter einen Hut? Vielen Männern fehlt da oft die Erfahrung.
Wie könnten Frauen in der Technik gefördert werden?
Jasmin nennt das übliche "nine to five"-Arbeitszeit-Modell als Hindernis für Frauen. Hier wäre mehr Flexibilität eine große Hilfe. Die Wurzel der Probleme sieht sie in der Unternehmenskultur vieler Firmen. Oft gilt Leistung dort eher als zweitrangig ist und Machtspielchen, gepaart mit Positionssicherung stehen an der Tagesordnung. Frauen fühlen sich damit oft unwohl und verlassen diese Unternehmen wieder. Längerfristig führt das dazu, dass man Frauen in diesen Führungspositionen und im Management vergeblich sucht. Hier fehlen dann auch wieder Vorbilder, an denen sich jüngere Mitarbeiterinnen orientieren könnten.
Nicht nur das. In solchen Unternehmen ist auch der Ton oft sehr rau. Sachliche Diskussionen gleiten oft auf die persönliche Ebene ab. Führungskräfte müssen eingreifen, damit sachliche Diskussionen auch sachlich bleiben, doch daran mangelt es oft.
Frauen werden allgemein oft persönlich beurteilt. Hier wird nach dem Aussehen gegangen oder es werden Fragen zum Familienstatus gestellt. So etwas verunsichert gerade junge Frauen doch sehr. Eine offene, moderne Unternehmenskultur und ein entsprechender Führungsstil sind Grundvoraussetzung, um hier endlich etwas ändern zu können.
Persönliche Erfahrungen
Wir haben Jasmin natürlich auch die Frage gestellt, ob sie solche Ungerechtigkeiten aufgrund des Geschlechts bereits erlebt hat. Sie schildert uns die Situation eines Bewerbungsgespräches. Zwar sollte es nicht sein, aber sie wurde gefragt, was sie im Falle einer Schwangerschaft tun würde, da sie ja einen Freund habe. Dabei war sie weit davon entfernt, überhaupt über Kinder nachzudenken.
Als dann Führungspositionen nachbesetzt werden sollten, kam es dazu, dass ein Mann bevorzugt wurde. Wieso? Er habe einfach das richtige Alter und müsse jetzt Karriere machen. Und da sie nun einmal eine Frau war, musste sie das nicht? Solche Aussagen sind nicht nur mittelalterlich, sondern auch absolut nicht nachvollziehbar, wie wir finden. Der Mensch, der eine Aufgabe ausführt, sollte im Fokus stehen, und nicht das Geschlecht. Es ist eine traurige Tatsache, dass ein solches Denken noch immer so stark verwurzelt ist.
Hilfe zur Selbsthilfe für Frauen
Jasmin ist außerdem Mentaltrainerin für feinfühlige Frauen. Was das heißt? Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen dabei zu helfen, selbstbestimmter zu leben. Immer wieder hört sie von Frauen, dass sie sich für eine Familie entschieden haben, weil das von ihnen so erwartet wurde. Jasmin hilft ihnen, wieder mehr Unabhängigkeit zu gewinnen. Frauen sollten für ihre Wünsche einstehen und sich von den gesellschaftlichen Erwartungen lösen können. Das Ziel ist es schließlich, dass sie selbst Spaß an ihrem Leben haben.
Tatsächlich helfe es vielen Frauen bereits, nur zu hören, dass ihre Wünsche nach mehr im Leben als Familie vollkommen in Ordnung sind. Die Angst, wegen solcher Aussagen verurteilt zu werden, ist leider bei vielen Frauen noch immer sehr hoch. Jemanden vor sich zu haben, der bewusst auf Kinder sowie Familie verzichtet hat und damit glücklich ist, ist da eine große Hilfe.
Gerade Frauen Mitte 30, bei denen eventuelle Kinder bereits in die Schule gehen, wissen oft nicht viel mit sich anzufangen. Sie stürzen in eine Sinn-Krise und trauen sich gar nicht, Karriereschritte zu wagen. Hier kann etwas verständnisvolle Hilfe viel bewirken.
Veränderung – Nein, danke?
Auch Jasmin kennt diese typischen "Nein-Sager", wann immer es um Neuerungen und Innovationen geht. Etwas belustigt meint sie, wenn diese konservativen Einstellungen sich immer durchgesetzt hätten, würden wir alle heute noch zu Fuß zur Arbeit gehen müssen.
- "Wenn man sich nicht mitverändert und diesen Fortschritt nicht nutzt, ist man irgendwann weg vom Markt. Das ist zwar bequem und man sitzt in seiner Komfortzone, aber die Welt entwickelt sich weiter."
Gerade im Bauwesen ist dieser Fortschritt essenziell. Es gibt immer mehr Normen und Richtlinien, aber auch mehr Institutionen, die das überprüfen. Die Kunden bestehen natürlich auf neue Technologien. Hier ist es für Unternehmen notwendig, sich am Fortschritt zu orientieren, um Schritt zu halten. Ansonsten ist eine Firma nach einigen Jahren schon nicht mehr marktfähig und auch nicht mehr ökonomisch.
Ratschläge für junge Ingenieurinnen
Wir haben Jasmin um einige Ratschläge gebeten, die sie jungen Ingenieurinnen an die Hand geben würde. Hier sieht sie Netzwerke aus Frauen – ob online oder in ihrem Umfeld – als beste Möglichkeit an. Schon der gegenseitige Austausch ist sehr wichtig. Durch die Geschichten anderer lernen sie, dass viele Dinge gar nicht an sie persönlich gerichtet sind. Es ist oft einfach der Umgang mit Frauen in dieser Branche.
Männliche Mentoren sind allerdings ebenfalls eine gute Idee. Schließlich gibt es viele Männer in dieser Branche, die sehr viel Erfahrung haben und Frauen auch gerne unterstützen. Hier lohnt es sich beispielsweise, mit anderen Leuten aktiv in Kontakt zu treten, bspw. über LinkedIN.
Auch die Wahl eines modernen Arbeitsumfelds ist natürlich wichtig. Es bringt einfach nichts, wenn Frauen in einem Umfeld erfolgreich sein wollen, wo sie nicht gefördert oder sogar diskriminiert werden.
Baubranche in der Zukunft
Wie jedes Mal stellen wir zum Ende hin die Frage nach der Zukunft der Baubranche. Jasmin sieht das Ganze etwas ernüchtert. Einerseits gibt es immer mehr Normen, es wird vielmehr reguliert sowie digitalisiert und alles wird komplexer. Andererseits gibt es in den Technikstudiengängen wenig Nachwuchs.
- "Ich höre auch oft von Freunden und Bekannten, wenn es um die Kinder geht, dass sie einen soliden Beruf haben und auf keinen Fall Techniker werden sollen. Das Kind soll Jurist oder Steuerberater werden."
Gerade der Nachwuchs ist in dieser Branche aber nötig, um die Digitalisierung umzusetzen. Die Baubranche ist einfach etwas unterbewertet, gilt schnell als langweilig und konservativ. Dabei gibt es so viel Innovation im Bauwesen, die nur darauf wartet, dass sie jemand gezielt umsetzt.
Um BIM und Digitalisierung vernünftig umsetzen zu können, brauchen wir Fachpersonal, das die Qualität von Prozessen sichern kann. Und da dieses Personal fehlt, muss nun einmal weniger qualifiziertes nachgeschult werden. Das Bauwesen braucht Menschen, die Freude haben, Wissen aufzubauen und zu transportieren. Unternehmen müssen sich bemühen, um solche Fachkräfte angemessen zu werben. Digitalisierung und BIM sind genau so Herausforderungen wie auch Chancen, da sie Prozesse einfacher machen.
Jasmins persönlicher Wunsch ist, dass gesamtheitlicher und langfristiger gedacht wird. Sie hat schon oft erlebt, dass jeder Fachbereich so vor sich hinarbeitet und die einzelnen Disziplinen untereinander nicht vernetzt sind. Die Akzeptanz der einzelnen Fachdisziplinen untereinander muss größer werden, damit Statik wieder den Stellenwert bekommt, den sie eigentlich hat.
Jasmin, was ist dein Lieblingsbauwerk?
- "Ich habe kein Lieblingsbauwerk. Was ich cool finde, sind Brücken jeglicher Art."
Das können wir gut verstehen. Da ist es auch schwer, sich zu entscheiden, aber Brücken sind eine tolle Sache. Brücken zu bauen, ist auf allen Ebenen eine wichtige Aufgabe, gerade auch im Bauwesen. Vielen Dank, dass du bei uns warst!