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4. November 2019

Schubverformungen von Stabtragwerken im Holzbau

In der gängigen Literatur werden die Formeln zur händischen Schnittgrößen- beziehungsweise Verformungsberechnung meist ohne Berücksichtigung der Schubverformung angegeben. Speziell im Holzbau werden die Verformungen resultierend aus der Querkraft dadurch oftmals unterschätzt.

Verwendete Symbole:
h ... Querschnittshöhe
L ... Stützweite
E ... Elastizitätsmodul
G ... Schubmodul
κ ... Schubkorrekturfaktor
A ... Querschnittsfläche
w ... Verformung

Maßgebend hierfür ist der geringe Schubmodul beziehungsweise das geringe Verhältnis von G/E. Dieses wird zum Beispiel für Nadelholz wegen der Anisotropie gemäß [1] mit 1/16 angegeben. Isotrope Materialien liefern hier ein weitaus größeres Verhältnis. Für Stahl zum Beispiel ergibt sich ein G/E-Verhältnis von 1/2,6.

Balkentheorie

Während bei der klassischen Bernoulli-Balkentheorie die Annahme getroffen wird, dass der Querschnitt eines Stabes bei seiner Verformung senkrecht zur Stabachse bleibt, so wird bei der Timoshenko-Balkentheorie (schubweicher Balken) die Schubgleitung berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass der Querschnitt eines Stabes bei seiner Verformung nicht mehr senkrecht zur Stabachse bleibt (siehe Bild 01). Durch die Annahme, dass der Querschnitt eben bleibt, resultiert eine konstante Schubspannungsverteilung entlang der Balkenhöhe. Da die Verteilung jedoch parabelförmig ist, wird ein Schubkorrekturfaktor für die Ermittlung der Schubflächen berücksichtigt. Dieser beträgt für einen Rechteck-Querschnitt 5/6. Die Schubsteifigkeit eines rechteckigen Stabes ergibt sich somit zu:

Normung

Die Norm gibt keinerlei Hinweise, ob beziehungsweise ab welchem Kriterium Schubverformungen für Stäbe zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung hat der Ingenieur allein zu treffen.

Beispiel

An einem einfachen Beispiel soll der Einfluss der Schubverformungen aufgezeigt werden. Betrachtet wird ein gelenkiger Einfeldträger, der als Unterzug dienen soll. Die Details können dem Bild 02 entnommen werden.

Zunächst soll nur die Verformung aus der Momentenkrümmung ermittelt werden. Für das dargestellte System ergibt sich die charakteristische Verformung zu:

Der Anteil der Schubverformung kann beispielsweise mit dem Arbeitssatz hergeleitet werden oder vereinfacht aus den Untersuchungen aus [2] beziehungsweise [3]. Diese resultiert für einen gelenkigen Einfeldträger zu:

Die Gesamtverformung beträgt somit:

Der Anteil der Schubverformung beträgt in diesem Beispiel bereits 25 % an der Gesamtverformung. In Bild 03 sind die einzelnen Verformungsanteile grafisch gegenübergestellt.

Schlankheit

Entscheidend für den Beitrag der Schubverformung ist die Schlankheit eines Stabes. Während für schlanke Stäbe mit einem großen L/h-Verhältnis die Schubverformungen vernachlässigbar gering sind, so haben diese für gedrungene Stäbe mit einem kleinen L/h-Verhältnis einen deutlichen Einfluss.

In Bild 04 ist der Einfluss der Schubverformung auf die Gesamtverformung in einem Diagramm abgebildet. Für gelenkige Einfeldträger mit Rechteck-Querschnitt überwiegt bis zu einem L/h-Verhältnis von 4 die Schubverformung. Erst danach überwiegt der Anteil aus der Momentenkrümmung. Ab einem L/h-Verhältnis von 12 beträgt der Einfluss der Schubverformung nur noch 10 % an der Gesamtverformung.

Statisch unbestimmte Systeme

Bei statisch unbestimmten Systemen hat die Schubverformung einen größeren Einfluss als bei statisch bestimmten Systemen. In diesem Fall haben die Verformungen aus Querkraft einen Einfluss auf das Biegemoment und somit auch auf die Biegeverformungen. Diese Umlagerung kann sich zum Beispiel positiv auf Stützmomente auswirken (siehe Bild 05).

Schubverformungen in RFEM und RSTAB

In RFEM und RSTAB werden die Schubverformungen bei Stäben automatisch berücksichtigt. Für Kontrollrechnungen können diese mit der in Bild 06 gezeigten Funktion jedoch auch vernachlässigt werden. Ist die Checkbox aktiviert, so werden die Schubverformungen berücksichtigt. Ist diese deaktiviert, so werden nur die Verformungsanteile aus dem Biegemoment berücksichtigt.

Zusammenfassung

In vielen baupraktischen Fällen können die Schubverformungen vernachlässigt werden, da diese keinen wesentlichen Beitrag zur Gesamtverformung beitragen. Bei gedrungenen Stäben darf die Schubverformung nicht mehr vernachlässigt werden. Während bei RFEM und RSTAB die Schubverformung standardmäßig immer berücksichtigt wird, muss bei Handrechnungen auf Hilfsmittel zurückgegriffen werden (siehe [2] beziehungsweise [3]).


Autor

Herr Rehm engagiert sich in der Entwicklung im Bereich Holzbau und im Kundensupport.

Links
Referenzen
  1. Bauholz für tragende Zwecke - Festigkeitsklassen; EN 338:2016
  2. Eierle, B.; Bös, B.: Schubverformungen von Stabtragwerken in der praktischen Anwendung, Bautechnik 90, Seiten 747 - 752. Berlin: Ernst & Sohn, 2013
  3. Eierle, B.; Bös, B.: Schubverformungen von Holztragwerken, Bauen mit Holz 90, Seiten 33 - 38. Köln: Bruderverlag, 2015
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