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22. Dezember 2023

Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung in einer dynamischen Analyse in RFEM 6 und RSTAB 9

Die EN 1998-1 Abschnitt 2.2.2 und 4.4.2.2 fordert für den Nachweis im Grenzzustand der Tragfähigkeit die Berechnung unter Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung (P-Δ-Effekt). Dieser Einfluss darf nur vernachlässigt werden, wenn der Empfindlichkeitsbeiwert der gegenseitigen Stockwerksverschiebung θ kleiner 0,1 ist.

Empfindlichkeitsbeiwert θ

Der Empfindlichkeitsbeiwert θ ist wie folgt definiert [1]:


Der Einfluss der Theorie II. Ordnung darf näherungsweise mit einem Faktor 1 / (1 - θ) berücksichtigt werden, wenn 0,1 < θ ≤ 0,2.
Für θ > 0,2 ist die geometrische Steifigkeitsmatrix bei der Berechnung der Eigenwerte und bei der Berechnung des multi-modalen Antwortspektrenverfahrens zu berücksichtigen.

Der Empfindlichkeitsbeiwert kann auch In RFEM 6 und RSTAB 9 berechnet werden. Genauere Informationen hierzu finden Sie im Fachbeitrag: KB | Bestimmung des Empfindlichkeitsbeiwertes zur Untersuchung der Notwendigkeit der Theorie II. Ordnung für dynamische Analysen .

Geometrische Steifigkeitsmatrix

Für dynamische Analysen sind iterative Berechnungen zur nichtlinearen Bestimmung der Theorie II. Ordnung nicht geeignet. Das Problem kann linearisiert werden und es ist hinreichend genau, die geometrische Steifigkeitsmatrix auf Basis der axialen Lasten zur Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung heranzuziehen. Dabei wird angenommen, dass die vertikalen Lasten sich aufgrund horizontaler Einwirkungen nicht ändern und die Verformungen klein sind verglichen mit den Gebäudeabmessungen [2]. Die zu berücksichtigenden Lasten sollten denen der Bemessungssituation für Erdbeben nach EN 1990 Abschnitt 6.4.3.4 [3] entsprechen:

Axiale Zugkräfte erhöhen die Steifigkeit, wie beispielsweise bei einem vorgespannten Seil. Druckkräfte setzen die Steifigkeit herab und können zu einer Singularität in der Steifigkeitsmatrix führen. Die geometrische Steifigkeit Kg ist nicht abhängig von den mechanischen Eigenschaften des Systems, sondern nur von Länge L und Normalkraft N im Stab. Um das grundlegende Problem darzustellen, wird vereinfachend auf einen Kragarm zurückgegriffen, dieser ist in Bild 1 dargestellt. Die einzelnen Massepunkte des Kragarms stellen die einzelnen Geschosse eines Gebäudes dar. An diesem Gebäude soll eine dynamische Analyse unter Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung durchgeführt werden. Die Normalkräfte Ni in den einzelnen Geschossen i = 1…n ergeben sich aus den Vertikalkräften in der Bemessungssituation Erdbeben. Die Geschosshöhe ist mit hi definiert.

Die geometrische Steifigkeitsmatrix Kg kann über die statischen Gleichgewichtsbedingungen hergeleitet werden:

Vereinfachend werden hier nur die Freiheitsgrade der horizontalen Verschiebungen dargestellt. Die gezeigte Herleitung beruht dem Ansatz des Versatzmomentes auf Basis eines linearen Verschiebungsansatzes. Dies ist für das Biegeelement eine Vereinfachung, beim Fachwerkelement eine exakte Annahme. Eine genauere Ermittlung der geometrischen Steifigkeitsmatrix für Biegebalken kann unter Verwendung eines kubischen Verschiebungsansatzes oder mit Hilfe der analytischen Lösung der Differentialgleichung der Biegelinie erfolgen. Genauere Informationen und Herleitungen werden von Werkle [4] bereitgestellt. Die geometrische Steifigkeitsmatrix Kg wird der Systemsteifigkeitsmatrix K hinzugefügt und ergibt die modifizierte Steifigkeitsmatrix Kmod:

Kmod = K + Kg

Im Falle von Drucknormalkräften führt dies folglich zu einer Verringerung der Steifigkeit.

Beispiel: Eigenfrequenzen und multi-modales Antwortspektrenverfahren unter Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung

Nachfolgend wird gezeigt, wie die geometrische Steifigkeitsmatrix in RFEM 6 und RSTAB 9 berücksichtigt werden kann. Als Beispiel wird der in Bild 1 dargestellte Kragarm verwendet. Der Kragarm besteht aus fünf konzentrierten Massepunkten. Hier wirken jeweils 4.000 kg in die globale X-Richtung.

Der Querschnitt ist ein IPE 300 mit einem Material S 235 mit Iy = 8.356 ∙ 10-5 m4 und E = 2,1 ∙ 1011 N/m2. Um die geometrische Steifigkeitsmatrix bei einer dynamischen Analyse berücksichtigen zu können, wird zunächst im Hauptprogramm RFEM eine Bemessungssituation vom Typ Erdbeben-/Massenkombination angelegt. Hierdurch wird durch die im Programm integrierte Kombinatorik automatisch die im Weiteren verwendete Lastkombination (LK1) erstellt.

Mit Hilfe des Add-Ons Modalanalyse werden Eigenformen und effektive Modalmassen einer Struktur ermittelt. Dabei können Anfangszustände zur Berücksichtigung von auf Lastfällen und Lastkombinationen basierende Steifigkeitsmodfikationen ausgewählt werden.
Zwei Modalanalyse-Lastfälle sind definiert. Im LF4 wird die LK1 zur Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix und damit zur Berücksichtigung der Theorie II. Ordnung importiert. Zum Vergleich ist der LF3 definiert, dieser enthält keine Steifigkeitsmodifikationen.

In der nachstehenden Tabelle sind die ermittelten Eigenfrequenzen f [Hz], Eigenperioden T [sec] und die aus dem Antwortspektrum abgelesenen Beschleunigungswerte Sa [m/s2], mit und ohne Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix Kg resultierend aus den Normalkräften aus LK1, aufgelistet.

Beim multi-modalen Antwortspektrenverfahren werden mit Hilfe der Eigenfrequenzen die Beschleunigungswerte aus dem definierten Antwortspektrum abgelesen. Diese Beschleunigungswerte sind Grundlage für die Ermittlung der Schnittgrößen des Antwortspektrenverfahrens. Die grafische Darstellung des benutzerdefinierten Antwortspektrums ist in Bild 6 gezeigt, die aus dem Antwortspektrum abgelesenen Beschleunigungswerte Sa [m/s2] für jeden Eigenwert sind in vorstehender Tabelle gelistet.

Um eine richtige Zuordnung der modifizierten Frequenzen sicherzustellen, muss bei der Erstellung eines Antwortspektren-Lastfalls die gewünschte Modalanalyse zugrunde gelegt werden.

Die Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix führt im Falle von Drucknormalkräften zu einer Verringerung der Eigenfrequenz und kann, wie in diesem Beispiel, zu geringeren zugehörigen Beschleunigungswerten Sa führen. Die Modifikation der Eigenfrequenzen alleine reicht nicht aus, um die Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen, vielmehr kann dies sogar zu kleineren Ergebnissen führen und damit auf der unsicheren Seite liegen. Es ist sehr wichtig, die modifizierte Steifigkeitsmatrix auch für die Ermittlung der Schnittgrößen und Verformungen zu verwenden. Im Antwortspektrenverfahren wird die modifizierte Steifigkeit aus der Modalanalyse automatisch zur Ermittlung der Ergebnisse des Antwortspektrenverfahrens verwendet. Die im Antwortspektrenverfahren ermittelten Verformungen, Schnittgrößen und Auflagerreaktionen, mit und ohne Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix, sind in Bild 8 dargestellt.

Die Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix führt zu größeren Verformungen und Schnittgrößen. Die resultierenden Auflagerlasten hingegen sind etwas kleiner unter Berücksichtigung der geometrischen Steifigkeitsmatrix.


Autor

Herr Eichner betreut die Entwicklung im Bereich Dynamik und unterstützt unsere Anwender im Kundensupport.

Links
Referenzen
  1. Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben - Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hochbauten; EN 1998-1:2004/A1:2013
  2. Edward L. Wilson. Three-Dimensional Static and Dynamic Analysis of Structures. Computer and Structures, Inc. Berkeley, USA, 2002.
  3. Eurocode 0: Grundlagen der Tragwerksplanung; DIN EN 1990:2010-12
  4. Werkle, H.: Finite Elemente in der Baustatik, 3. Auflage. Wiesbaden: Vieweg & Sohn, 2008


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