In unserem Blog haben wir uns schon mit vielen beeindruckenden Bauwerken beschäftigt. Auf der ganzen Welt gibt es Gebäude, die so atemberaubend oder besonders sind, dass sie uns einfach in Staunen versetzen. Oft beschäftigt uns die Frage: Wie konnten Menschen so etwas bauen? Die Weiterentwicklung unserer Technologie, auch im Bauwesen, schreitet weiter voran und macht immer mehr möglich.
Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Bauprojekten, die zwar geplant wurde, aber die nächste Phase nie erreicht hat. Aus unterschiedlichsten Gründen blieb es bei einem Entwurf auf dem Reißbrett. In diesem Beitrag stellen wir euch einige davon genauer vor und sehen uns an, aus welchen Gründen diese Projekte ihre Planungsphase nicht überstanden haben.
Tatlin-Turm (Russland)
Monument zur Dritten Internationale
Oftmals ist der Entwurf von Gebäuden mit einer großen Portion Kreativität verbunden. Vor allem dann, wenn der Architekt, der das Design entwirft, zusätzlich Künstler ist und diese künstlerische Ader in seine Arbeit einfließen lässt.
Anfang des 20. Jahrhunderts, genauer gesagt Ende der 20er Jahre, war ganz Russland in Aufbruchsstimmung. Nach dem Sturz des Zaren und damit dem Ende der Monarchie prägten große Veränderungen das Land. Das spiegelt sich auch in zeitgenössischer Architektur wider.
Die Russische Revolution begünstigte den Beginn eines neuen Baustils: Der Konstruktivismus begann, immer mehr Einfluss zu nehmen. Es entstanden rationale, beinahe nüchterne Bauwerke, oft aus industriellem Stahl.
Der Architekt und Künstler Tatlin entwarf für die sogenannte Dritte Internationale eine Konstruktion, die ihr als Sitz dienen sollte. Dabei handelt es sich in der Geschichte Russlands um die dritte internationale Organisation aus sozialistischen und kommunistischen Parteien, die jemals gegründet worden war. Ziel war es dieses Mal, eine Übergangsregierung zu schaffen.
Tatlin arbeitete zwei Jahre am Entwurf dieses monumentalen Bauwerks. Der spiralförmige Turm aus Stahl und Glas ragte etwas schief in die Höhe und sollte unterschiedliche Funktionen abdecken. Platz finden sollten hier Konferenzräume, ein Informationszentrum, ein Radiosender und ein Observatorium.
Hiermit wollte er nicht nur ein architektonisches Meisterstück, sondern auch ein Symbol für die kommunistische Revolution erschaffen, ein Wahrzeichen für die Überlegenheit des Kommunismus. Der Tatlin-Turm war zweifellos einer der wichtigsten und bedeutendsten Entwürfe des 20. Jahrhunderts. Dennoch wurde er nie gebaut.
Die Dritte Internationale wurde bald aufgelöst und wich der Herrschaft unter Stalin. Auch die Kosten für einen möglichen Bau waren nicht zu stemmen, ganz abgesehen davon, dass eine technische Umsetzung dieses Entwurfes schlicht unmöglich war – und es bis heute ist. Tatlins Originalmodell, das er der Dritten Internationale vorstellte, existiert heute nicht mehr, allerdings einige beeindruckende Nachbauten.
Es wäre möglich, dass dieses Bauprojekt mit einigen Anpassungen irgendwann gebaut werden könnte, allerdings fehlen wohl der Anlass und der Wille, ein über 100 Jahre altes Projekt in die nächste Phase zu bringen. Daher bleibt es vermutlich eine Idee, die für immer zu den Akten gelegt wurde.
X-Seed 4000 (Japan)
In Japan lebt der Großteil der Bevölkerung in Großstädten. Demzufolge ist Wohnraum hier ein sehr knappes Gut, pro Person sind es heute weniger als 20 m². Nachvollziehbar also, dass sich Japan entschieden hat, in die Höhe zu bauen.
Daher sollte es uns gar nicht wundern, dass die Pläne für das höchste Gebäude der Welt direkt in Tokio entstanden. Das X-Seed 4000 wurde in den 1990er Jahren von der japanischen Architektur- und Ingenieurfirma Taisei Corporation entworfen. Mit einer Höhe von 4 km hätte es alle anderen Gebäude der Welt in den Schatten gestellt.
Das A-förmige Design erinnert ein wenig an einen abgewandelten Eiffelturm. Geplant waren hier Wohnungen, Büros, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen – sozusagen eine Stadt in der Stadt. Ein wirklich einzigartiges Projekt! Allerdings kam es leider nie zur Umsetzung. Die Gründe dafür sind vielfältig, laufen jedoch auf einen Aspekt hinaus: die Machbarkeit.
Es ist trotz modernster Technologien einfach nicht möglich, so hoch zu bauen. Ein Problem ist das passende Material. Die Umwelteinflüsse durch Wind, Regen und auch Erdbeben sind in Japan sehr groß. Für Wolkenkratzer gibt es verschiedene Methoden, um diesen Einflüssen entgegenzutreten, aber das X-Seed 4000 wäre eine gänzlich andere Stufe.
Selbst wenn es möglich wäre, ein solches Gebäude wind- und erdbebensicher zu bauen, wären die Kosten ein Fass ohne Boden. Auch die Bauzeit würde vermutlich dafür sorgen, dass die notwendigen finanziellen Mittel weiter steigen.
Letztendlich blieb es also bei einem Konzept, um dem steigenden Bedarf nach Wohnraum in Japans Hauptstadt gerecht zu werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es technisch irgendwann möglich, ein solches Bauwerk zu errichten. Ob das X-Seed 4000 dann umgesetzt wird? Wir sind gespannt!
Palast der Sowjets (Russland)
Ein weiteres interessantes Beispiel für Architektur, die nie umgesetzt wurde, ist der Palast der Sowjets. Auch hierfür reisen wir gedanklich wieder nach Russland. Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre entstanden Pläne für einen monumentalen Regierungspalast in Moskau. Der Kommunismus sollte nach der erfolgreichen Revolution und dem Sturz des Zaren gefeiert werden – mit einem der höchsten Gebäude der Welt.
Nach Stalins Machtergreifung wurde begonnen, alte Zarenstrukturen abzureißen, um Platz für ein „neues Moskau“ zu schaffen. Auch die Christ-Erlöser-Kathedrale war eines dieser Gebäude, das den Plänen Stalins weichen musste. Daher wurde sie abgerissen, um dort den Palast der Sowjets zu bauen. Dieser Gigant mit einer Höhe von über 400 m erblickte jedoch nie das Licht der Welt, zumindest nicht vollständig.
Zwar wurde in den 30er Jahren mit dem Bau begonnen, doch mit dem Zweiten Weltkrieg geriet dieses Bauprojekt schnell ins Stocken. Auf den Zweiten Weltkrieg folgte der Kalte Krieg, es fehlten nicht nur das Geld für die Umsetzung eines solchen Mammutprojekts, sondern auch die Baumaterialien. Zudem wäre es mit den damaligen Technologien für Ingenieure unmöglich gewesen, den Palast der Sowjets wie geplant umzusetzen.
Da die Planungen von der Regierung, demnach von der Politik, vorangetrieben wurden, fanden Probleme wie ein ungeeigneter Baugrund und die generelle Machbarkeit nicht ansatzweise genügend Beachtung in der Planung. Dieses Schicksal teilen leider viele Bauwerke weltweit.
Das Projekt wurde letztendlich endgültig aufgegeben und an seiner Stelle wurde später die Christ-Erlöser-Kathedrale als Teil des Kreml-Ensembles wiederaufgebaut. Der Palast der Sowjets jedoch reiht sich ein in eine Liste von Bauwerken, die nie gebaut wurden. Heutiger Regierungssitz in Moskau ist der historische Kreml-Palast.
Kenotaph für Isaac Newton (Frankreich)
Auch hier handelt es sich um ein monumentales Bauwerk, das nie umgesetzt werden konnte. Anders als bei vorherigen Beispielen geht es dieses Mal nicht um ein politisch motiviertes Projekt. Vielen, die sich mit Architektur beschäftigen, ist Étienne-Louis Boullée sicher ein Begriff.
Als ein Hauptvertreter der französischen Revolutionsarchitektur ist er bekannt für den Entwurf überdimensionierter Bauten, die einer realistischen Umsetzung in etwa so nah waren wie die Erde der Sonne. Wie im Titel dieses Projekts bereits zu erkennen ist – hierbei handelt es sich um ein Grabmal, gewidmet dem berühmten Mathematiker und Naturwissenschaftler Isaac Newton.
Boullée plante 1784 eine runde, kuppelförmige Struktur, die nach oben hin geöffnet war. Das erinnert sehr an die Konstruktion anderer berühmter Bauwerke wie den Pantheon. Zum Vergleich: Die Kuppel dieses antiken Bauwunders misst etwa 45 m, der Kenotaph für Newton sollte über 150 m hoch werden – für das 18. Jahrhundert absolut utopisch und schlicht nicht umsetzbar.
Um dieses tempelartige Gebäude herum zog sich Boullées Plänen nach eine riesige Säulenanlage von 3 km Durchmesser, umgeben von hohen Mauern. Obwohl dieses monumentale Konstrukt nie umgesetzt werden konnte, gilt es in der Architektur bis heute als richtungsweisend. Schließlich war es das wohl größte im klassizistischen Stil geplante Gebäude seinerzeit.
Hier fehlte es, wie so oft, an genügend finanziellen Mitteln, Baumaterialien und vor allem an Technologie, die ein solches Mammutprojekt möglich machen konnte. Eine Umsetzung des Projekts ist sehr unwahrscheinlich. Mittlerweile hat es seinen Platz in der Architekturgeschichte gefunden und dort wird es wohl bleiben – als Inspiration folgender Generationen im Archiv nie realisierter Bauwerke.
Hitlers Germania (Deutschland)
Einige monumentale Bauten haben wir bereits gesehen, viele davon politisch motiviert. Das Projekt Germania übertrifft jedoch jedes Einzelne davon um das Vielfache. Hier ging es dem nationalsozialistischen Regime nicht nur um ein einzelnes monumentales Regierungsgebäude. Geplant war eine ganze Stadt – beziehungsweise die Umgestaltung Berlins zur monumentalen Hauptstadt des Dritten Reichs.
Hitler wünschte sich eine radikale Umgestaltung Berlins mit zahlreichen Denkmälern und sogar einem eigenen Regierungsviertel. Achsenförmig angelegt führten die breiten Straßen vom Regierungssitz direkt zu neuen, beeindruckenden Wahrzeichen. Neben einem Triumphbogen, der seinesgleichen sucht, waren auch ein vollkommen überdimensioniertes Stadion, die sogenannte Volkshalle und der Große Platz als Bauwerke geplant. Die Gemeinsamkeit dieser Gebäude liegt auf der Hand – sie sollten weltweit die größten ihrer Art werden.
Das Hauptziel bestand natürlich darin, Macht und Größe zu demonstrieren – als Symbol für die Überlegenheit des Nazi-Regimes. Nach dem Niedergang der Nation als Konsequenz des Ersten Weltkriegs sollte endlich eine neue Ära der deutschen Geschichte anbrechen. Eine Ära, die – das wissen wir heute – glücklicherweise recht schnell wieder der Vergangenheit angehörte.
Einige Teile des Projekts wurden zwar begonnen, keines davon allerdings vollständig umgesetzt. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kamen jegliche Arbeiten zum Erliegen und nach Kriegsende wurden die Pläne für Germania verworfen. Berlin durfte sein historisches Stadtbild behalten.
Obwohl Germania nie realisiert wurde, gilt es als bestes Beispiel für die Rolle von Architektur in totalitären Regimes. Die enge Verbindung zwischen politischer Ideologie und dem Erschaffen von Bauwerken hätte hier beinahe dazu geführt, dass eine bedeutende Stadt wie Berlin ihr jahrhundertelang gewachsenes Stadtbild verliert – und damit auch den Großteil ihrer Identität und Geschichte.
The Illinois (USA)
Vielen von euch wird unser nächstes Beispiel für nie realisierte Bauprojekte bereits bekannt sein. Der Architekt Frank Lloyd Wright entwickelte in den 1950er Jahren das „Mile-High Illinois“-Konzept. Sein ehrgeiziger Plan war es, mit einer Höhe von einer Meile (1,6 km) das höchste Gebäude der Welt zu erschaffen, viermal höher als das Empire State Building.
Dieser Wolkenkratzer in Chicago sollte alle anderen Gebäude in den Schatten stellen. Der Hochhausbau war damals noch nicht annähernd so fortschrittlich wie heute, also war dieses Projekt definitiv Vorreiter für den Bau von Wolkenkratzern, die als Symbol für die Überschreitung von Grenzen in Baugeschichtsbücher eingingen.
Das Illinois wurde nie umgesetzt, obwohl Wright davon überzeugt war, es sei möglich. Werfen wir einen genaueren Blick auf die geplante Konstruktion, stellen wir fest, dass diese Struktur selbst heute nicht realisierbar wäre. Einer der Gründe dafür ist die selbsttragende Stahlkonstruktion.
Gerade in Chicago ist oftmals mit starkem Wind zu rechnen, dadurch entstünden Schwankungen, denen das Gebäude nicht standhalten könnte. Hier vertraute Wright auf die Standfestigkeit eines Dreifuß. Doch ohne eine weitere Maßnahme, wie bspw. ein Tilgerpendel, wäre der Wolkenkratzer nie nutzbar gewesen.
Geplant waren außerdem 76 Fahrstühle für 528 Stockwerke. Da Wright das Illinois so schlank plante, wäre dafür kaum Platz gewesen, genau so wenig wie für Feuertreppen. Zeitgemäß rechnete er hier mit fünfstöckigen atomgetriebenen Außenaufzügen, die auch im Brandfall funktionieren sollten – ein Glück, dass dieser Entwurf sich nie bis zur Fertigstellung durchgesetzt hat.
Fazit: Nie realisierte Bauwerke
Mit einem Blick auf diese Liste interessanter Bauwerke fassen wir nun zusammen: Wie kommt es, dass geplante Bauprojekte nicht umgesetzt werden beziehungsweise unmöglich umzusetzen waren? Festhalten lässt sich, dass nicht selten die Politik meint, sich in den Bau wichtiger Gebäude einmischen zu müssen.
Wir haben in unserem letzten Beitrag über das Ryugyong-Hotel in Nordkorea bereits festgestellt – Politiker, die über die Planung und den Ablauf von Bauprojekten bestimmen, haben oft andere, nicht umsetzbare Vorstellungen. Gerade in totalitären Regimes wie dem Dritten Reich, Nordkorea oder der Sowjetunion stehen monumentale Gebäude ganz oben auf der Liste: Wie beweise ich der Welt, das ich der Größte bin? Nicht selten ohne Rücksicht auf mögliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Konsequenzen. Ideale vor Vernunft, ein Klassiker, der schon viele Projekte scheitern ließ.
Aber auch abseits der Politik zeigen sich viele Bauwerke als schlichtweg nicht umsetzbar. Meist ist es bereits der Entwurf enthusiastischer Architekten, der eine Realisierung unmöglich macht. Zwar entwickelt sich auch im Bauwesen die Technologie weiter, und doch stoßen wir immer wieder an Grenzen, die unüberwindbar sind.
Die Herausforderungen, mit der verschiedene Generationen der Baubranche zu kämpfen haben, ändern sich nur, sie werden nicht unbedingt weniger. Heute können wir höhere und größere Gebäude an unterschiedlichsten Orten der Welt errichten. Wir haben moderne Statiksoftware an unserer Seite, die uns mühevolle Rechenarbeit von Hand und damit neben Zeit und Personal auch mögliche Rechenfehler erspart. Und gleichzeitig stehen wir vor der Verantwortung gegenüber unserer Umwelt.
Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Wohnungsnot, aber auch neue Baustoffe, wiederentdeckte Bauverfahren und innovative Technologien lassen immer weitere Herausforderungen aufkommen, wo wir andere gerade erst gemeistert haben. Einige Bauwerke, die früher als unmöglich zu bauen galten, könnten wir heute umsetzen. Doch die Motivation einer Realisierung der oftmals sehr symbolträchtigen Bauten, die Finanzierung eines solchen Projekts und die tatsächliche Sinnhaftigkeit sind in der Regel nicht mehr gegeben.
Daher bleibt uns nur, sich auf aktuelle Projekte zu konzentrieren – davon gibt es zum Glück genug. Nehmen wir doch die Architektenträume vergangener Generationen als Anstoß dafür, im Bauwesen immer wieder an neue Grenzen zu gehen, um anschließend darüber hinaus zu denken.
Vielleicht muss es kein weiteres Monument für die Stärke eines Landes sein, aber ein gemeinnütziges Projekt, das am wesentlichen Aspekt jedes Gebäudes auf der ganzen Welt anknüpft: die Personen, die das Bauwerk letztendlich nutzen. Lernen wir aus Entwürfen und Fehlern der Vergangenheit und erschaffen realisierbaren Lebensraum, in dem Menschen sich wirklich wohlfühlen können. Denn dafür sind Bauwerke schließlich da.