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27. Juli 2023

Gebäude mit positivem Fußabdruck

Nachhaltigkeit im Bauwesen ist immer wieder ein großes Thema. Schließlich ist die Baubranche für einen Großteil der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Heute sprechen wir mit Andrea Heil darüber, wie wir unseren Gebäuden einen positiven Fußabdruck verpassen können. Wie weit sind wir und was haben wir noch vor uns? Das alles erfahrt ihr in diesem Blogbeitrag.

Bauen – Aber nachhaltig

Andrea ist Bauingenieurin und arbeitet als Beraterin für altersgerechtes Bauen. Schon in ihrem Studium an der TU München hat sie das Thema nachhaltiges Bauen vertieft. Jetzt beschäftigt sie sich vor allem eingehend mit dem sogenannten „cradle-to-cradle“-Prinzip, also Kreislaufwirtschaft. Dabei geht es darum, einen Kreislauf der Rohstoffe zu erreichen.

Das hilft beispielsweise dabei, um CO2 einzusparen, das bei der Produktion von z.B. Beton entsteht. Wir müssen endlich anfangen, ein Gebäude nicht als Endlager, sondern als Zwischenlager für Rohstoffe zu sehen und mit denen, die wir haben, bewusster umzugehen. Recycling ist also das große Ziel – auch im Bauwesen.

Schon beim Design von Baustoffen, beim Entwurf von Gebäuden müssen wir das Ganze für den Kreislauf konzipieren.

Cradle-to-cradle im Bauwesen?

Bei cradle-to-cradle geht es nicht allein um Nachhaltigkeit, sondern vor allem auch um Gesundheit. Wir verbringen etwa 90 % unseres Tages in geschlossenen Räumen. Tatsache ist, dass die Luft dort oft schlechter ist als an einer vielbefahrenen Straße. Wieso das so ist?

Grund dafür sind Ausdünstungen der verbauten Materialien, die uns sogar krank machen können. Bei der Anzahl an Lieferanten und Lieferketten wissen Hersteller oft selbst nicht, was genau in ihren Produkten alles enthalten ist.

Ein Garant für gutes Raumklima ist beispielsweise der Einsatz von Lehm im Innenausbau. Das Beste: Lehm ist durch und durch wiederverwendbar. Wenn ihr mehr zu Lehm als Baustoff lesen möchtet, empfehlen wir euch den Blogbeitrag:
Lehm als nachhaltiger Baustoff

Auch die sozialen Aspekte müssen mit bedacht werden. Dazu gehört beispielsweise der Wasserkreislauf. Wasser, das für die Produktion verwendet wird, darf nicht einfach so verschwinden, sondern sollte möglichst rückgeführt werden. Genau so ist auch Biodiversität ein Thema. Bauprojekte dürfen nicht dazu führen, dass die Natur darunter leidet. Durch die Schaffung von Außenanlagen und Freiräumen können wir dafür sorgen, dass Tiere und Pflanzen erhalten bleiben.

Zusammengefasst geht es bei cradle-to-cradle darum, für die Menschen im Innenraum und auch für die Umgebung optimale Bedingungen zu schaffen. Aufgrund der oft langen Nutzungsdauer von Gebäuden ist es wichtig, dass beim nachhaltigen Bauen Raum für eine flexible Umnutzung gelassen wird.

Durch Demontierbarkeit von beispielsweise Wänden muss der Grundriss jederzeit veränderbar sein, ohne weitere Rohstoffe einzusetzen oder das Gebäude komplett zurückbauen zu müssen. Denn gerade notwendige Umbauten für eine Umnutzung sind oft die einzigen Gründe für den Abriss eines Bauwerks.

Die meisten Gebäude werden nicht abgerissen, weil die Baustoffe am Ende ihrer Lebenszeit sind.

Manchmal ändern sich auch die Zeiten und das Gebäude passt schlicht nicht mehr zur Umgebung. Anpassbarkeit ist hier ein weiterer wichtiger Punkt, dem in der Bauwirtschaft mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Ein nachhaltiges Gebäude muss wandelbar sein. Wir als Ingenieurinnen und Ingenieure haben auch schon bei der Planung von Bauwerken eine große Verantwortung – sowohl gegenüber unserer Umwelt als auch unseren Mitmenschen.

Architects for Future

Bündnis für Nachhaltigkeit im Bauwesen

Viele kennen sicher die populäre Bewegung „Fridays for Future“, in der Schülerinnen und Schüler durch Schulstreiks auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht und für dringenden Handlungsbedarf eingestanden haben. Auch im Bauwesen gibt es eine ganz ähnliche Bewegung: „Architects for Future“. Andrea ist dort Mitglied und erzählt uns ein wenig darüber.

Tatsächlich umfasst diese Bewegung alle Beteiligten der Baubranche und weit nicht nur Architekten. Letztere waren es allerdings, die diese Organisation in die Wege geleitet haben und der Name wurde ganz einfach so belassen. Seit 2019 setzt sich die Bewegung solidarisch mit Fridays for Future für die Einhaltung des Pariser Abkommens ein.

Ob Lehmbau, Holzbau oder die Lage von Einfamilienhäusern: Die Initiative beschäftigt sich viel mit Recherche und Aufbereitung relevanter Themen rund um Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Andrea selbst kümmert sich vor allem um Öffentlichkeitsarbeit, also gerade Interviews oder Podcasts zum Thema cradle-to-cradle in der Bauwirtschaft. Zudem koordiniert sie den Großteil der Regionalgruppen in Bayern.

Ein wichtiges Ziel ist dabei nicht, die Baubranche nur auf Fehler hinzuweisen, sondern, sie zu motivieren, sich von innen heraus zu verändern. Die Hauptarbeit der Initiative spielt sich allerdings eher auf politischer Ebene ab. Sie haben beispielsweise Anträge an die Bunderepublik gestellt, in denen sie Veränderungen der Bauverordnung vorschlagen. Denn von selbst reagiert die Baubranche nicht oder nur in kleinen Teilen auf das Thema Nachhaltigkeit.

Das Appellieren ans schlechte Gewissen haben wir jetzt lange genug ausprobiert. Das bringt gar nichts, solange klimaschädliches Bauen günstiger ist als ordentlich zu bauen.

Daher sollen im Namen der Initiative „Architects for Future“ erstmals alle Akteure, die an der Bauwirtschaft beteiligt sind, zusammenarbeiten, um gemeinsame Forderungen an die Bundesrepublik zu stellen. Ob Beratende Ingenieure, der Bundesverband Bayerischer Architekten oder die Bauindustrie selbst: Alle einigen sich und kämpfen zusammen, um den Zielen Nachhaltigkeit, cradle-to-cradle und Umweltschutz in der Baubranche ein Stück weit näherzukommen.

Sie setzen sich dabei vor allem für sechs notwendige Sofortmaßnahmen ein, die schnellstmöglich umgesetzt werden sollten, um die Klimaziele des Pariser Abkommens einhalten zu können. Diese stellt sie uns im Interview kurz vor.

BIM als Standard

Für geeignete Projekte soll BIM zum Standard werden. Bei Einfamilienhäusern lohnt sich das natürlich nicht, da sie für eine solche Software einfach nicht komplex genug sind. Aber gerade für staatliche Großprojekte hat BIM zahlreiche Vorteile.

Die Architekten nutzen beispielsweise oft schon BIM-Software, um die Gebäude zu modellieren, schließlich ist es so wesentlich einfacher. Hier stoßen wir aber oftmals bereits auf das erste Problem: BIM setzt natürlich Digitalisierung voraus. Und die scheint im Bauwesen besonders lange auf sich warten zu lassen. Das muss sich ändern.

Kreislaufwirtschaft

Im bayerischen Kreislaufgesetz steht, dass die Öffentlichkeit eine besondere Verantwortung hat, ein Vorbild zu sein, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Beispielsweise soll durch staatliche Projekte vorgelebt werden, dass Rohstoffe recycelt werden können.

Wer die Baubranche, gerade staatliche Bauprojekte, kennt, weiß: Das passiert dort aber nicht. Es wird weiterhin auf bewährte Methoden gesetzt. Trotz gesetzlicher Regelung erfolgen weder Kontrollen noch Konsequenzen, sollten Bauträger diese Regeln nicht einhalten. Bei öffentlichen Ausschreibungen werden nachhaltige Methoden und Materialien sogar aktiv ausgeschlossen. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Standorte zum Recycling von Baustoffen

Um unsere Klima-Ziele umsetzen zu können, brauchen wir nicht nur recycelbare Rohstoffe, sondern auch gut erreichbare Standorte, wo dieser Recycling-Prozess durchgeführt werden kann. Ähnlich wie es bereits mit Recycling-Höfen für Hausmüll wie defekten Kühlschränken oder Sperrmüll gehandhabt wird.

Denn was nützt uns ein zentraler Standort für Baustoff-Recycling, wenn die Anfahrtswege wieder zu mehr Umweltbelastung und höheren Kosten führen? Hier muss also mehr geplant werden, damit Recycling von Bauprojekten überhaupt in der Praxis wirtschaftlich umsetzbar ist.

Lebenszyklus-basierte Planung

Gerade bei Bauprojekten in öffentlicher Hand ist dieses Thema besonders wichtig. Denn die oftmals großen geplanten Bauwerke werden mit unseren Steuergeldern errichtet. Wer mit diesem Thema vertraut ist, kennt die hohen Kosten, die aufkommen, wenn ein Gebäude nicht wirklich anpassbar gebaut wird. Gerade Modernisierungskosten sind in diesen Fällen oft sehr hoch.

Für eine Umnutzung muss bei den meisten öffentlichen Gebäuden der Großteil des Baumaterials abgetragen werden und dieser landet meistens auf Müll-Deponien. Auch die Kosten dafür müssen wir als Steuerzahler mittragen. Daher wäre es nur fair uns gegenüber, nicht nur die Investitionskosten im Blick zu haben, sondern langfristig zu denken und die Lebenszyklus-Kosten zu priorisieren. Denn das ist es, worauf es am Ende ankommt.

Förderung von Innovation und Nachhaltigkeit

Gerade innovative Ideen helfen uns dabei, uns immer weiterzuentwickeln. Auch bei Klimafragen sind sie unabdingbar. Es gibt in der Baubranche nur eine verschwindend geringe Anzahl an wirklichen Innovationen. Das liegt unter anderem daran, dass innovative Projekte und Baustoffe nicht ausreichend gefördert werden. Der gesamte Prozess dauert viel zu lange.

Hier muss vonseiten der Politik etwas passieren, damit beispielsweise alternative nachhaltigere Baustoffe auf dem Markt ein wirklicher Konkurrent für herkömmliche Klimakiller sein können. Ein Beispiel für innovative Baustoffe ist beispielsweise Carbonbeton. Wenn euch das Thema interessiert, könnt ihr hier nachlesen:
Bauen mit Carbonbeton

Als ein Beispiel für innovative Klimaanpassung nennt uns Andrea das Schwammstadt-Prinzip und die blau-grüne Infrastruktur. Durch den Klimawandel ächzen Städte häufig unter starken Unwettern und damit verbundenen Überschwemmungen. Große Teile des öffentlichen Raumes sind in Städten schlicht durch Pflaster oder Beton versiegelt. Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken, ist das Schaffen sogenannter Schwammstädte.

Hier werden innerhalb von Städten Flächen geschaffen, die das gesamte Regenwasser aufnehmen und anschließend langsam wieder abgeben können. Tiefer gelegte bewachsene Versickerungsmulden oder begrünte Dächer machen hier eine Menge aus.

Das Wasser wird dort natürlich zwischengespeichert und fließt nicht mit einem Mal in die Kanalisation oder das Grundwasser. Zusätzlich dazu sorgen diese Flächen im Sommer für messbare Abkühlung und die Stadtbäume, die oft ihren Platz in diesen Mulden finden, überstehen heiße Tage problemlos.

Öffentliche Aufklärung zum Thema nachhaltiges Bauen

Als letzten wichtigen Punkt nennt sie uns den öffentlichen Umgang mit diesen Themen. So etwas kann nur funktionieren, wenn die Öffentlichkeit auch darüber aufgeklärt wird. Diese Aufklärung muss verständlich und in der richtigen Geschwindigkeit stattfinden, damit möglichst viele Menschen die Notwendigkeit solcher Maßnahmen nachvollziehen können.

Nur, wenn man alle mitnimmt, kann diese Transformation auch gelingen.

Cradle-to-cradle in der Praxis

Andrea hat selbst ihr eigenes Hausbauprojekt realisiert – natürlich nach dem cradle-to-cradle-Prinzip. Daher fragen wir direkt nach. Ihre größte Herausforderung, so schildert sie es uns, war die gesamte Planung, die sie vollständig selbst übernommen hat. Als Bauingenieurin war das Tragwerk natürlich kein großes Problem, aber dann ging es an den Innenausbau und sie hat bemerkt, dass es dort wesentlich mehr zu lernen gab, als sie gedacht hätte.

Noch dazu ist es relativ schwer, Firmen zu finden, die sich an der Realisierung eines solchen Projekts beteiligen wollen und auch können. Denn gerade innovative Baustoffe oder Methoden sind im Bauwesen noch nicht allzu weit verbreitet. Besonders die rechtliche Seite, also die Erweiterung und Schaffung neuer Normen, lässt oft lange auf sich warten.

Daher mussten viele Papiere unterschrieben werden, dass bei Problemen die volle Verantwortung übernommen wurde. Hier empfiehlt Andrea zukünftigen Häuserbauern vor allem, alles zu dokumentieren, weit im Voraus zu planen und vor allem, genügend Zeit mitzubringen.

Zukunft des Bauwesens

Wir fragen Andrea natürlich auch danach, wie sie die Zukunft der Baubranche sieht. Sie hat dazu eine sehr eindeutige Meinung, die wir aufgrund ihrer genannten Zahlen und Informationen auch nachvollziehen können.

Entweder wird alles kreislaufgerecht und nachhaltig umgesetzt oder wir werden wohl aussterben.

Ein sehr vernichtendes Urteil, aber dennoch realistisch. Schließlich arbeiten wir im Bauwesen meistens mit Rohstoffen, die viel zu umweltschädlich sind. Ändern wir das nicht, wird der Klimawandel irgendwann dafür sorgen, dass Teile der Erde nicht mehr bewohnbar sind und die Menschen von dort in andere Teile flüchten müssen. Krieg um Wasser, Krieg um Nahrung: Es würde in Chaos enden.

Andrea geht davon aus, dass in Zukunft vorgefertigtes Bauen und Sanierungen im Bestand größere Marktanteile ausmachen werden. Als Hintergrund dazu führt sie beispielsweise den Fachkräftemangel an, der automatisierte Vorfertigungen unabdingbar machen wird. Wenn euch das Thema Modulbau oder vorgefertigtes Bauen interessiert, schaut doch gerne hier vorbei:
Ist modulares Bauen die nachhaltige Zukunft?

Gerade in der Ausbildung oder Weiterbildung sieht sie großen Nachholbedarf, was Nachhaltigkeit im Bauwesen und Bauen im Bestand angeht. Die meiste Verantwortung sieht sie in den aktuellen Rahmenbedingungen der Politik. Beton ist in der Beschaffung und Verarbeitung immer noch wesentlich günstiger als beispielswese Holz, das muss sich ändern. An alle zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieure hat sie noch eine klare Botschaft:

Traut euch einfach, neue Sachen auszuprobieren und habt den Mut, euch durchzusetzen gegen die, die sagen, nein, das haben wir schon immer so gemacht. Es lohnt sich.

Andrea, was ist das Lieblingsbauwerk?

Früher, erzählt sie uns, war es das Pantheon. Mit zahlreichen statischen Tricks haben die Menschen damals es geschafft, dass es zweitausend Jahre lang die größte Kuppel der Welt hatte. Das ist für die damaligen Möglichkeiten eine enorme und beeindruckende Leistung.

Mittlerweile, das gibt sie zu, ist ihr Lieblingsbauwerk aber eindeutig ihr eigenes Haus, das sie nach dem cradle-to-cradle-Prinzip selbst entworfen und bauen lassen hat. Das können wir natürlich absolut verstehen. Vielen Dank, dass du bei uns warst, Andrea!

Ihr möchtet euch die Folge selbst anhören? Hier findet ihr sie:
Podcast Folge 51: Gebäude mit positivem Fußabdruck


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.

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