Menschen haben schon immer das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln. So auch im Bauwesen. Zement und damit später auch Beton begleiten uns schon seit sehr langer Zeit als Baustoff. Weiterentwickelt wurde diese Bauweise, als Stahlbewehrungen dazu genommen wurden, um die Zugfestigkeit des Betons zu erhöhen. Leider rostet der Stahl trotz Betonummantelung irgendwann und eine Sanierung muss her. Aber geht das nicht auch anders? Eine Alternative zum klassischen Stahlbeton ist Carbonbeton.
Von der Bundeswehr zur Bauindustrie
Alexander ist einer der zwei Geschäftsführer der CarboCon GmbH mit Sitz in Dresden. Die CarboCon selbst ist eine Ausgründung der TU Dresden, um Carbonbeton als alternativen Baustoff zu Stahlbeton von der Forschung auf den Markt zu bringen.
Nach seinem Abitur ging er für ein Jahr zur Bundeswehr. Dort traf er einen Offizier, der als Bauingenieur Pionierarbeit leistete und entschloss sich, ein Ingenieurstudium zu wagen. An der TU Dresden wurde er zum wissenschaftlichen Mitarbeiter und beschäftigte sich dort mit Carbonbeton, bis er 2018 direkt zur CarboCon wechselte.
Bei der CarboCon agiert er als technischer Geschäftsführer und kümmert sich um die Planung von Bauprojekten mit nachhaltigen Baustoffen, vor allem natürlich Carbonbeton. Gerade, Bauwerke dank einer Sanierung mit Carbonbeton erhalten zu können, gefällt ihm an seiner Arbeit am meisten.
Wieso brauchen wir eine Alternative zu Stahlbeton?
Stahlbeton ist mittlerweile einer der weltweit am meisten verwendeten Baustoffe. Eine Bewehrung aus Stahl, geschützt durch eine dicke Schicht Beton, um sie vor Rost zu schützen. Vor allem Brücken werden seit Jahrzehnten so gut wie nur noch aus Stahlbeton gebaut. Funktionieren tut der Rostschutz durch mehrere Zentimeter Beton nicht immer. Gerade Brücken müssen oft aufwendig saniert oder sogar erneuert werden. Das kostet natürlich jedes Mal eine Menge Rohstoffe und Energie, wodurch wieder viel CO2 entsteht.
Was aber, wenn wir statt Stahl, der rostet, ein Material als Bewehrung nutzen, das nicht rostet? Diese Überlegung ist nun schon mehr als 30 Jahre alt und es wurde viel in dieser Richtung geforscht. Carbon ist als Material perfekt: langlebig und nicht rostend. Man übernahm also das System des Stahlbetonbaus und entwickelte es weiter.
Carbonbeton als nachhaltiger Baustoff
Woraus besteht Carbonbeton? Wie beim Stahlbeton auch haben wir hier unsere zwei Komponenten: Carbon und Beton. Der Beton nimmt dabei die Druckkräfte auf, während die Carbon-Bewehrung für die Zugkräfte verantwortlich ist. Es gibt Carbonstäbe oder Carbongitter, die dafür als Bewehrung eingelegt werden. Wir ersetzen sozusagen die Stahlbewehrung durch eine nicht-rostende Bewehrung aus Carbon.
Carbon wird aus Erdöl bzw. aus Polyacrylnitril-(PAN)Fasern hergestellt und durch eine Tränkung zu Hochleistungsfasern verarbeitet. Tausende hauchdünne Fasern werden zu einem Garn verklebt, das schlussendlich zu Stäben geformt und als feine Gitter zusammengesetzt wird. Dadurch erreicht Carbon eine sehr hohe Leistungsfähigkeit, in Zahlen gesprochen etwa das Sechs- oder Siebenfache von Stahl.
Von sich aus ist Carbon natürlich nicht unbedingt nachhaltig in der Herstellung. Da es aber leistungsfähiger ist als Stahl und nicht rostet, benötigt es keine so dicke Schicht aus Beton. Tatsächlich lassen sich im Vergleich zu Stahlbeton mit Carbonbeton bis zu 80% an Beton einsparen. Nicht nur brauchen wir beim Bau weniger Beton, durch das nicht-Rosten hält das Bauwerk auch wesentlich länger. Diese beiden Punkte machen den Bau mit Carbonbeton so nachhaltig und zu einer echten Alternative!
Nicht nur das: Es gibt bereits viele verschiedene Ansätze, die Herstellung und Verarbeitung von Carbonfasern künftig nachhaltiger zu gestalten.
Anwendungsgebiete von Carbonbeton
Wir wollen natürlich wissen, in welchen Bereichen mit Carbonbeton gebaut wird und wieso das eine so gute Idee ist. Alexander erklärt uns, dass es für Carbonbeton zwei große Anwendungsbereiche gibt:
- Neubau mit Carbonbeton
- Bauen im Bestand mit Carbonbeton
Ein großer Bereich ist natürlich der Neubau mit Carbonbeton statt Stahlbeton. Durch die Eigenschaften der Carbonfasern können die Baukonstruktionen schmaler und trotzdem stabiler gebaut werden. Dadurch werden etwa 50% an Beton eingespart. Noch dazu kommt die Langlebigkeit, da Carbon nicht rostet.
- "Wenn wir sagen, wir verlängern die Lebensdauer einfach nur um den Faktor 2 zu dem, was wir jetzt haben, hätten wir schon einen großen Mehrwert."
Als ein Problem unserer heutigen Bauwerke sieht Alexander vor allem Parkhäuser. Ständig muss der Stahlbeton saniert oder neu beschichtet werden. Mit einer Bewehrung aus Carbonfasern hätten wir diese Probleme nicht mehr und die Parkhäuser könnten 100 oder sogar 200 Jahre bestehen bleiben.
Ein weiterer Bereich ist die Arbeit mit Carbonbeton im Bestand. In Deutschland wird leider viel zu viel einfach abgerissen – nicht gerade ein Plus für Nachhaltigkeit. Um den Bestand zu schützen, kann auf Carbonbeton zurückgegriffen werden.
Wird eine herkömmliche Decke verstärkt, müssten gut 7 bis 10 cm Spritzbeton angebracht werden. Eine normale Decke schafft ein solches Gewicht nicht. Also ist es leichter, das Gebäude einfach abzureißen und neu zu bauen, oder? Alexander berichtet von einer weit besseren Methode.
Es wird eine dünne Carbonbeton-Schicht auf dem Bestand angebracht, meist reicht schon eine Dicke von etwa 1 cm aus. Hier wird die Oberfläche der Decke etwas aufgeraut. Anschließend wird spezieller, feiner Beton aufgespritzt – etwa 3-4mm Dicke. Dann wird Carbongitter aufgelegt und es kommt erneut eine Schicht Feinbeton, sodass die Verstärkung am Ende 1 cm nicht überschreitet.
Diese zusätzliche Schicht ist selbst für Denkmale in der Regel kein Problem, erreicht aber eine enorme Verstärkung der Decke von 200-300 % Traglast. Durch Carbonbeton können Bestandsbauten also erhalten werden – Das ist die nachhaltigste Form des Bauens.
Carbonbeton und die Zukunft des Bauwesens
Erste Parkhäuser und Fußgängerbrücken wurden bereits mit Carbonbeton umgesetzt. Auch an Brücken mit Schwerlasttransporten wird sich langsam herangetraut. Selbst Häuser können schon mit diesem innovativen Baustoff realisiert werden. Mittlerweile ist der Preisunterschied zum Bauen mit Stahlbeton auch nicht mehr allzu hoch – das Preis-Leistungsverhältnis im Hinblick auf die Lebenszeit und Nachhaltigkeit ist natürlich sogar wesentlich besser. Wir fragen uns: Wieso bauen dann noch nicht mehr Leute mit Carbonbeton?
- "Es gibt eine Hürde in Deutschland und das ist, weil wir noch keine Norm haben."
Das dachten wir uns fast schon. Ohne Norm oder Richtlinien ist es in Deutschland leider sehr schwer, neue Baustoffe auf den Markt zu bringen. Hier muss für jeden Einzelfall eine Genehmigung eingeholt werden. Auch typisch für das deutsche Bauwesen: Architekten und Bauplaner trauen sich eher selten, Neues auszuprobieren, erst recht nicht, wenn es dafür noch keine Norm gibt. Und wie alles im deutschen Bauwesen kann das dauern.
Alexander betont, dass man auch in einer sehr konservativen Branche wie dem Bauwesen immer versuchen sollte, neue Wege zu gehen, um bereits Vorhandenes weiter zu verbessern. Er möchte auch angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren raten, sich zu trauen, mit neuen Baustoffen und Bauweisen zu arbeiten, sich einfach auszuprobieren. Das können wir natürlich nur unterstützen. Das Ingenieurwesen muss in Deutschland offener für Neues werden.
Alexander, was ist dein Lieblingsbauwerk?
Ein direktes Lieblingsbauwerk hat er nicht. Aber er lässt uns wissen, dass ihn gerade Schalentragwerke noch immer sehr beeindrucken. Die Möglichkeit, stützenfrei große Flächen zu überspannen, fasziniert ihn sehr.
Das können wir absolut nachvollziehen. Die eleganten Bauten sind wirklich wunderschön anzusehen. Vielen Dank, dass du bei uns zu Gast warst!