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6. November 2024

Nuklearkatastrophe Tschernobyl: Ingenieure im Kampf gegen tödliche Strahlung

Am 26. April 1986 explodierte ein Kernreaktor während eines Sicherheitstests im Atomkraftwerk Tschernobyl. Alle Sofortmaßnahmen versagten und der Reaktor schleuderte 90 % des gesamten nuklearen Materials kilometerweit in die Luft. Ein absolut tödlicher Unfall. Wie genau konnte das passieren und welche Rolle spielten die verantwortlichen Ingenieure? Welche Auswirkungen hatte die Katastrophe und was hat die Baubranche daraus gelernt? In diesem Beitrag geht es um menschliches Versagen, überholte Technologie und den endgültigen Wendepunkt in der Atomkraft.
  • Tschernobyl war eine unverzeihliche Tragödie, die das Ergebnis einer einzigartigen Kombination von menschlichem Versagen, überholter sowjetischer Technologie und eines Missverständnisses der Risiken gewesen ist.“ – Mikhail Gorbatschow (ehemaliger Präsident der Sowjetunion)

Kaum ein anderes Zitat bringt die nukleare Katastrophe Tschernobyl so auf den Punkt. Die Tschernobyl Katastrophe setzte neue Maßstäbe für den Umgang mit Atomkraft: für die Öffentlichkeit, aber vor allem für Ingenieure. Wir sehen uns nicht nur gemeinsam an, wie es zur Explosion in Tschernobyl kommen konnte, sondern auch, was danach geschah.

Wieso wurde so spät evakuiert? Warum wusste lange niemand etwas von dem atomaren Unfall und wie steht es heute um die Geisterstadt Prypjat? Beginnen wir am besten dort, wo alles angefangen hat. Als Kernenergie noch den Beinamen „Energie der Zukunft“ trug.

Atomkraft vor Tschernobyl: Energie der unbegrenzten Möglichkeiten

Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1950er Jahre entwickelte sich eine echte Euphorie rund um das Thema Atomkraft. Nach den Schrecken des Krieges sah man die Kernenergie als Zeichen von Fortschritt und technologischen Errungenschaften. Ziel war es, die Atomkraft nie wieder als Waffe, sondern für friedliche Zwecke zu nutzen. Vor allem für die Erzeugung von Strom.

Nicht nur große Konzerne, auch einfache Bürgerinnen und Bürger waren begeistert: Es gab so viele Möglichkeiten! Wer brauchte schon Öl und Gas, das schnell entflammen und explodieren konnte? Atomenergie galt als absolut sicher. Und die Industrie zog mit. Es war sogar geplant, Autos in Zukunft mit kleinen Kernkraftwerken anzutreiben. Auf Wasserstoff setzte man seit dem Absturz der Hindenburg 1937 lieber nicht mehr. Das war zu gefährlich.

Kernkraft wurde zu einer Investition in großem Stil. Zahlreiche Kernkraftwerke wurden errichtet und rund herum entstanden ganze Städte für die angestellten Arbeiter und ihre Familien. Familienfreundliches Leben und modernes Wohnen in direkter Nähe zu Reaktoren: Das zog tausende Menschen an. Dadurch wuchsen nicht wenige Siedlungen zu ganzen Kleinstädten heran. Niemand ahnte damals wirklich, wie gefährlich das war.

Erste Nuklearunfälle vor Tschernobyl

In den 1960er bis 1970er Jahre dagegen änderte sich die Sicht auf Kernkraft. Nicht nur unter Experten manifestierten sich erste Bedenken. Die umschlagende Stimmung machte sich auch in der breiten Masse der Bevölkerung bemerkbar. Denn Tschernobyl war nicht die erste große Nuklearkatastrophe, wenn auch eine der bekanntesten.

29 Jahre vor Tschernobyl: Der Kyschtym-Unfall

Der erste bekannte Nuklearunfall mit verheerenden Folgen geschah im Mai 1957. Obwohl er heutzutage nicht allzu oft genannt wird, war es eine der größten nuklearen Katastrophen in der Geschichte. Bei Kyschtym handelte es sich nicht, wie bei Tschernobyl später, um ein Atomkraftwerk zur Stromerzeugung. Hier wurden Brennstoffe wiederaufbereitet. Besser gesagt, die Anlage behandelte radioaktive Abfälle aus Kernreaktoren.

Dabei kam es im Mai 1957 zu einem fatalen Kühlmittelausfall eines Tanks. Darin lagerten hochradioaktive Flüssigabfälle. Es kam zu einer gewaltigen Explosion, bei der das radioaktive Material bis in Atmosphäre geschleudert wurde. Was geschah dann? Bekam die Atomkraft ihren ersten empfindlichen Dämpfer? Erhöhte man die Sicherheitsstandards?

Leider nein. Genauer gesagt wurde der Vorfall von der Regierung vertuscht und gelangte erst in den 1970er Jahren durch Whistleblower an Öffentlichkeit. Die genauen Auswirkungen dieses Nuklearunfalls sind bis heute offiziell nicht geklärt.

6 Jahre vor Tschernobyl: Kernschmelze in Three Mile Island

Ein weiterer schwerer Nuklearunfall ereignete sich einige Zeit später in Pennsylvania (USA). Am 28. März 1979 führte ein technischer Fehler im Kernkraftwerk Three Mile Island zu einem Kühlmittelverlust im Reaktorkern. Mehrere Brennstäbe fielen den hohen Temperaturen der darauffolgenden Kernschmelze zum Opfer.

Damit der Reaktor nicht explodierte, wurde sozusagen Druck vom Kessel genommen. Durch eine Freisetzung des radioaktiven Dampfes konnte eine Explosion verhindert werden. Die Eindämmung der Strahlung, auch Containment genannt, funktionierte wie vorgesehen und begrenzte die Freisetzung von Radioaktivität auf das unmittelbare Umfeld des Kernkraftwerks.

Diese erfolgreiche Sofortmaßnahme konnte Schlimmeres verhindern, dennoch führte der Unfall zu einem endgültigen Umdenken in Sachen Kernkraft. Die Öffentlichkeit machte sich Sorgen: Wie sicher sind Kernkraftwerke?

Anti-Atomkraft-Bewegung und Umweltbewusstsein

Besonders in den 70er und 80er Jahren änderte sich die öffentliche Meinung zur Atomkraft immer mehr. Noch vor dem Nuklearunfall Tschernobyl bildete sich eine immer stärker werdende Anti-Atomkraft-Bewegung. Zusehends mehr Menschen positionierten sich gegen den weiteren Ausbau von Nuklearenergie als Energiequelle. Die Kernthemen dieser Proteste kennen wir bis heute:

  • Problematische Entsorgung von radioaktivem Abfall
  • Risiken der Nutzung für Mensch und Umwelt
  • Umweltbewusstsein und Fokus auf erneuerbare Energie

Das Atomkraftwerk Tschernobyl

Trotz zahlreicher Protestaktionen und einem weiter steigenden Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Gefahr von Kernkraftwerken wurden immer weitere Anlagen errichtet. Besonders in der ehemaligen Sowjetunion hatte man Nuklearenergie für sich entdeckt.

Hier konnte die Kernkraft gegenüber herkömmlichen Kohlekraftanlagen mit einem wesentlich höheren Wirkungsgrad punkten. Also schossen zahlreiche weitere Atomkraftwerke aus dem sowjetischen Boden. Eines davon war Tschernobyl.

Prypjat: Das Leben am Kernkraftwerk Tschernobyl

Aus heutiger Sicht mag es nicht nur waghalsig, sondern geradezu absurd klingen: Aber das Leben in der unmittelbaren Nähe von Atomkraftwerken wie Tschernobyl war modern und angenehm. Ganze Arbeitersiedlungen wuchsen zu Kleinstädten heran. Zeitgemäßes Wohnen, ein kurzer Arbeitsweg und der Fokus auf Familienfreundlichkeit. Kein Wunder also, dass solche Siedlungen sehr beliebt waren.

Im Jahr 1970 wurde die moderne Arbeitersiedlung Prypjat gegründet. Sie stand Arbeitern des Atomkraftwerks Tschernobyl zur Verfügung und begrüßte sowohl sie als auch ihre Familien mit offenen Armen. Rund 100 km von der heute ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt wuchs die kleine Siedlung schnell auf etwa 50 000 Einwohner heran. Damit erreichte Prypjat die Größe des heutigen Greifswald im Norden Deutschlands.

Doch im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Städten hatte Prypjat eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur. Dazu gehörten unter anderem mehrere Schulen und Freizeiteinrichtungen. Noch heute bekannt ist der Freizeitpark, welcher zu den wohl meistfotografierten Orten der Siedlung zählt.

Das Atomkraftwerk Tschernobyl: Die Anlage

Tschernobyl galt als modernstes und sicherstes Atomkraftwerk der Sowjetunion. Man hatte aus vergangenen Fehlern gelernt und setzte sich zum Ziel, der Sicherheit des Kernkraftwerks die oberste Priorität zuzusprechen. Ein vernünftiger Vorsatz also.

Dennoch kam es 1986 zu einer gewaltigen Explosion im Atomkraftwerk Tschernobyl. Und die Anlage war nicht gerade eine der kleineren, im Gegenteil. Allein im zerstörten Reaktor lagerten 200 t Uran, mehrere kg Plutonium und anderes radioaktives Material. Nicht in fester Form, versteht sich, sondern als lavaähnliche Masse. Noch heute beträgt die Strahlung um den Reaktor etwa das 100-fache unserer normalen Strahlenbelastung in Deutschland.

Wie konnte es zur Explosion in Tschernobyl kommen? Wer ist verantwortlich und wie ging es nach der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl weiter? Diese und weitere Fragen werden wir gemeinsam klären. Doch zuerst sehen wir uns an, wie so ein Atomkraftwerk überhaupt funktioniert.

Wie funktioniert ein Atomkraftwerk?

Die Funktionsweise eines Atomkraftwerks mag auf den ersten Blick kompliziert wirken – ist sie allerdings nicht. Der Ort, an dem der interessante Teil des Prozesses passiert, ist der Atomreaktor, wie sein Name schon vermuten lässt.

Wasser fließt durch diesen Reaktor hindurch, während dort eine entsprechende Reaktion stattfindet. Die Kernspaltung gibt ihre Energie an das Wasser ab und es verdampft. Dieser Wasserdampf steigt auf und treibt darüberliegende Turbinen an.

Durch die Bewegung der Turbinen laufen die angeschlossenen Generatoren schon bald auf Hochtouren und wandeln die Energie der Kernspaltung letztendlich in Strom um. Anschließend kühlt sich der Dampf wieder ab und kondensiert. Das Kondenswasser fließt zurück in den Reaktor und dort beginnt die Reaktion von neuem.

Bei der Verbrennung von Kohle oder Öl passiert etwas ganz Ähnliches. Auch hier wird Wasser erhitzt und der Dampf treibt Turbinen an, die ihre Bewegungsenergie an Generatoren weitergeben. So entsteht Strom. Allerdings hat Atomkraft eine Besonderheit: Die hieraus gewonnene Energiedichte ist etwa 1 Mio. mal größer als beim Verbrennen von Kohle oder Öl. Kein Wunder also, dass Nuklearenergie für ein so großes Aufsehen gesorgt hat.

Das Besondere am Kernkraftwerk Tschernobyl

Bei der Beschreibung des Atomkraftwerks Tschernobyl haben wir bereits erwähnt, dass diese Anlage eine der modernsten war. Das liegt vor allem an einer Besonderheit. Das Kernkraftwerk Tschernobyl verfügte über einen modernen Siedewasserdruckröhrenreaktor. Interessantes Wort: Aber was heißt das?

In den Reaktoren gab es nicht, wie bei anderen Anlagen zuvor, nur einen einzelnen Druckkessel. Stattdessen wurden in der Tschernobyl-Anlage zahlreiche Druckröhren mit einem Kernbrennstoff verbaut. Um die Kettenreaktion im Reaktor zu kontrollieren, kamen spezielle Steuerstäbe zum Einsatz. Diese Steuerstäbe absorbierten Neutronen und konnten dadurch die Kernspaltung verlangsamen oder ganz zum Erliegen bringen.

Dafür wurden die Stäbe in den Reaktor eingefahren und nahmen dort Neutronen auf. Dadurch bremsten sie die Reaktion aus, bis letztendlich sogar eine komplette Abschaltung der Kernspaltung möglich war. Ein System, von dem man sich in Tschernobyl zusätzliche Sicherheit erhoffte.

Doch nicht nur in Sachen Sicherheit hatte Tschernobyl einiges zu bieten. Auch die Leistung der Anlage war mit keiner vorherigen zu vergleichen. Fortschrittlichste Reaktortechnik sorgte dafür, dass der Reaktor eine elektrische Leistung von ca. eine Mrd. Watt (1 Gigawatt) erreichen konnte. Das entspricht in etwa der Leistung eines heute modernen Kohlekraftwerks. Damit verfügte Tschernobyl zu dieser Zeit über den leistungsfähigsten Reaktor der Welt.

Wir haben also einen ausgesprochen fortschrittlichen und starken Reaktor, der durch ein neues System zusätzlich besonders sicher sein sollte. Und trotzdem ist dieser tragische Unfall passiert. Wie kann das sein? Was ist schief gegangen, wenn das Atomkraftwerk Tschernobyl doch so modern und sicher war?

Tschernobyl Katastrophe 1989

Heute wissen wir: Der eigentliche Grund für den nuklearen Unfall war ein Sicherheitstest. Also kein Versagen der Anlage unter Belastung, kein Verschleiß, nur ein einzelner Sicherheitstest, der aus dem Ruder lief. Aber was genau ist passiert?

Am 26. April 1986 erhielten die zuständigen Ingenieure im Atomkraftwerk Tschernobyl eine Routine-Aufgabe. Sie sollten den Reaktor für eine Revision herunterfahren. Eine einfache Wartung also. Diesen Umstand nutzten sie, um einen kleinen Sicherheitstest an einem der Reaktoren in Tschernobyl durchzuführen.

Tschernobyl Unfall: Nur ein Sicherheitstest

Ihr Ziel war es, das Verhalten der Anlage bei einem möglichen Stromausfall zu testen. Würden alle automatischen Sofortmaßnahmen greifen? Schließlich war die Anlage noch immer eine der modernsten der Sowjetunion. Gefahrenpotenzial sah man hier keines.

Denn trotz fehlendem Strom sollte die verbleibende Rotationsenergie der auslaufenden Turbogeneratoren genug Energie erzeugen, bis die Notstromaggregate starten würden. Mit dieser Restenergie müsste es problemlos möglich ein, eine Zeitspanne von etwa 1 min ohne Strom zu überbrücken. Vor dieser Simulation musste der Reaktor jedoch auf eine Leistung von 25 % heruntergefahren werden. Und wann verbraucht eine Stadt in der Regel am wenigsten Strom? Nachts oder frühmorgens.

Die Vorbereitungen begannen und am Morgen des 25. Aprils 1986 drosselten die Ingenieure die Leistung des Reaktors, indem sie die Steuerstäbe in den Reaktorkern absenkten. Die Reaktion der Kernspaltung verlangsamte sich bereits, da erfuhren die Verantwortlichen, dass Kiew als belieferte Stadt gerade unerwartet mehr Strom verbrauchte.

Der Sicherheitstest verzögerte sich demnach immer weiter, bis am Abend die Freigabe kam, die Leistung des Reaktors auf die erforderlichen 25 % herunterzudrosseln. Die Simulation eines Stromausfalls am Kernkraftwerk Tschernobyl stand demnach unmittelbar bevor.

Probleme in Tschernobyl: Alles unter Kontrolle?

Doch es kam zu einem Problem am Reaktor. Seine Leistung blieb nicht stabil, sondern fiel weiter ab. Die Simulation sollte mit stabilen 25 % der Leistung starten, aber das funktionierte einfach nicht. Bis in die Nacht hinein beobachteten die Ingenieure die abfallende Leistung.

Um Mitternacht kam dann der Schichtwechsel. Die Verantwortlichen standen nun ratlos einem Reaktor gegenüber, der immer schwächer wurde. Das konnte sich auch die neue Gruppe Experten nicht erklären. Nicht nur wurde die Leistung weniger, der Reaktor reagierte auch nicht mehr auf die Steuerung. Er fuhr sich in Seelenruhe weiter herunter.

Letztendlich lag die Leistung nur noch bei etwa 1 %. Den Reaktor jetzt wieder hochzufahren, war offiziell verboten. Aber die leitenden Ingenieure entschieden sich anders: ein fataler Fehler. Sie versuchten, den Reaktor in Tschernobyl wieder auf 25 % zu bringen, damit der Test endlich stattfinden konnte.

Dazu wurden die Maschinisten angewiesen, die Steuerstäbe nach und nach herauszuziehen. Tatsächlich stieg die Leistung. Die Kernspaltung kam wieder in Gange. Allerdings in den Augen der Verantwortlichen zu langsam. Sie wollten keine weiteren Verzögerungen. Es kam, wie es kommen musste: Alle Steuerstäbe wurden vollständig herausgezogen. Der Anfang vom Ende.

Reaktorexplosion in Tschernobyl

Kurz darauf geriet alles außer Kontrolle. Kontrolllampen blinkten, Alarmsignale ertönten, wie wir es sonst nur aus Filmen kennen. Der mit der Tschernobyl-Anlage verbundene Computer warnte mit Nachdruck vor einer Reaktion des Reaktors, die nicht mehr zu kontrollieren wäre.

Der einzige Ausweg: eine Notabschaltung des Reaktors. Ein Schritt, den der verantwortliche Ingenieur in dieser Nacht sofort gehen wollte. Doch sein Vorgesetzter schätzte die Lage anders ein. Er bestand auf einer Fortsetzung des Sicherheitstests. Selbst unter diesen Umständen.

Der menschliche Teil des Ganzen hatte also versagt, blieb nur noch die Technik. Jede Atomkraftanlage verfügte zu dieser Zeit über Maßnahmen zur automatischen Eindämmung im Falle eines Unglücks. Das Problem: Für das Testen der Tschernobyl-Anlage wurden in der Regel immer alle Sicherheitsvorkehrungen überbrückt, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen. Die Technik allein konnte demnach nicht eingreifen, um zu verhindern, was kommen sollte.

Es folgte also wie geplant die Simulation des Stromausfalls. Die Wasserpumpen wurden nur noch durch die auslaufenden Generatoren angetrieben. Letztendlich lief das ganze System nicht stabil genug. Dadurch erreichte weniger Kühlwasser den Reaktor. Weniger Kühlung zieht eine steigende Temperatur nach sich. Und das wurde schnell zum Problem.

Erst jetzt sahen die Verantwortlichen ein, dass sie dringend handeln mussten. Ihre erste Reaktion war, die Steuerstäbe ruckartig wieder einzufahren, alle von ihnen. Nun sollte die Kernspaltung verlangsamt werden, damit das übrige Kühlwasser ausreichte, um alles zu stabilisieren. Doch hier haben die Ingenieure eine Sache nicht bedacht.

Theoretisch hätte das Einfahren der Stäbe die Situation retten können, allerdings musste man hierfür eine Besonderheit des Siedewasserdruckröhrenreaktors beachten. Einen Steuerstab, der vollständig herausgezogen war, ruckartig wieder einzufahren, sorgte für eine heftige Reaktion im Reaktorkern. Nur kurz, aber stark genug für eine spontane Katastrophe.

Bevor Neuronen vom Stab aufgenommen werden konnten, schoss die Leistung und mit ihr die Hitze so gewaltig hoch, dass es zur sprunghaften Überbelastung des Systems kam. Selbst die sofortige Notabschaltung und das Einschieben aller Steuerstäbe konnte die Reaktion nicht mehr aufhalten.

Die Abdeckplatte des Reaktors mit etwa 2000 t Gewicht wurde durch den Druck der Explosion abgesprengt und flog ganze 12 m in die Höhe. Es entstand eine 1200 m hohe Rauchsäule aus Gas und geschmolzenen radioaktiven Teilchen, die sich als Wolke schnell weiter ausbreitete.

Tschernobyl Katastrophe: Die ersten Stunden nach dem Unglück

Das Unglück war geschehen und die Folgen waren nicht mehr aufzuhalten. Aber wie ging man mit diesem Unfall um? Eine sofortige Evakuierung, das Bemühen um rasche Information aller Regionen, über die diese radioaktive Wolke hinwegziehen würde? Vielleicht weitere innovative Maßnahmen, um das alles noch irgendwie einzudämmen? Leider nicht. Gar nichts davon.

Werksfeuerwehr Tschernobyl: Tragische Helden

Sofort wurde die Werksfeuerwehr der Tschernobyl-Anlage zu Hilfe gerufen. Allerdings nur, um den brennenden Reaktor zu löschen. Dass es ein Nuklearunfall war, wurde ihnen verschwiegen – und das, obwohl die Strahlendosis am Reaktor die tödliche Dosis um das Dreifache überstieg.

Die Feuerwehrleute erreichten wenig später bereits den Brandort. Sie löschten das Feuer neben Reaktor 4 und auch den brennenden Reaktor 3. Durch die hohe Strahlendosis verstarben alle von ihnen binnen weniger Tage. Noch heute wäre jede Behandlung bei einer so hohen Strahlenbelastung wirkungslos.

Die einzige Möglichkeit, eine solche Dosis in der Nähe eines Kraftwerks wie Tschernobyl zu überleben, ist die sofortige Einnahme von Jodtabletten. Und selbst dann wäre die Überlebenschance alles andere als hoch. Der Ernst des Unfalls wurde verschwiegen. Es folgte in den ersten 24 h keine Notevakuierung von Prypjat. Niemand dort ahnte etwas.

Reaktorexplosion in Tschernobyl: Evakuierung und Sperrzone

Erst am nächsten Tag, dem Morgen des 27. Aprils 1986, erfolgen erste Maßnahmen zur Evakuierung und Eindämmung der Strahlung um Tschernobyl. Natürlich war es da schon viel zu spät für so etwas. Alle Einwohner von Prypjat wurden per Lautsprecherdurchsagen angewiesen, Papiere und Proviant für ein paar Tage zusammenzupacken und in bereitgestellte Busse zu steigen. Wir erinnern uns: Hier ging es um etwa 50 000 Menschen.

Es brauchte ganze 1200 Busse für die Evakuierung. Fragen wurden keine beantwortet. Auch die Regierung übte sich nach wie vor in Schweigen. Doch nicht nur die Einwohner von Prypjat mussten den Bereich um Tschernobyl herum verlassen. Ein Bereich von 30 km um das Atomkraftwerk Tschernobyl herum wurde zur Sperrzone erklärt. Weitere 120 000 Menschen verließen ihr Zuhause, während Vorkehrungen getroffen wurden, um die Strahlung aus Reaktor 3 einzudämmen.

Tschernobyl nach dem Unglück: Eindämmung durch Liquidatoren

Die Tschernobyl Katastrophe hatte längst ihren Lauf genommen. Nun bemühte man sich um Schadensminimierung. Sogenannte Liquidatoren sollten dafür sorgen, dass die weitere Strahlung aus dem Reaktor eingedämmt wurde. Einfach ist so etwas nicht, wenn nicht sogar unmöglich.

Es wurden Militärhubschrauber losgeschickt, die Sand und andere Materialien über dem Reaktorkern 3 abwarfen. Ziel war es, nicht-reaktive Stoffe mit dem lavaähnlichen Kern zu verbinden und eine weitere Kernspaltung zu verlangsamen. Doch selbst in der Luft war die Strahlung über Tschernobyl noch immer gefährlich.

Jedes Hubschrauber-Team hatte nur 30 s Zeit, um sein Material abzuwerfen. Trotz dieser kurzen Zeitspanne über dem Tschernobyl Reaktor trugen viele Besatzungsmitglieder Schäden davon. Ein Hubschrauber blieb an einem Krankabel hängen und stürzte ab. Alle vier Menschen an Bord verstarben. Insgesamt schütteten die Liquidatoren auf diese Weise etwa 5000 t Sand, Blei, Bor, Dolomit und Lehm über den schmelzenden Kern.

Viele der Beteiligten erlitten unmittelbare Schäden durch die hohe Strahlung. Einige verstarben trotz Spezialbehandlungen nach einigen Tagen, manche erst nach Jahren infolge der hohen Strahlenbelastung. Losgeschickt wurden hauptsächlich junge Männer, da man davon ausging, ihre Körper würden die Strahlung besser verkraften. Einen Unterschied machte das aber wohl nicht.

Die Zeit nach der Tschernobyl Katastrophe

Erst am 14. Mai erfolgte eine öffentliche Stellungnahme der Regierung zum Ausmaß des Unfalls. Und das auch nur, weil Nachbarländer allmählich die starke radioaktive Wolke bemerkten, die einmal quer über Europa zog. Zuvor gingen selbst lokale Medien von einem Brand ohne weitreichende Konsequenzen aus.

Dazu sollte man wissen, dass eine radioaktive Wolke, die durch eine Reaktorkernexplosion erzeugt wurde, weit höher aufsteigt als der Atompilz einer Bombenexplosion. Die Verseuchung ist mehr als doppelt so hoch wie nach dem Einschlag einer Atombombe. Genau das macht solche Reaktorunfälle wie in Tschernobyl so gefährlich.

Die radioaktive Wolke zog innerhalb weniger Tage über Weißrussland, Schweden sowie Mittel-, West- und Südeuropa hinweg. Noch heute gibt es Regionen, in denen es verboten ist, Pilze und Gemüsesorten, die Radioaktivität in ihren Fruchtkörpern einlagern, zu essen oder anzubieten.

Tunnelbau unter Tschernobyl

Doch die Wolke war nicht das einzige Problem. Ein weiteres fraß sich vor Ort in Tschernobyl immer weiter voran. Die radioaktive Masse im Reaktorkern kam noch immer auf eine durchschnittliche Temperatur von ca. 2000 °C. So langsam brannte sie sich durch den Boden. Und unterhalb des Reaktors hätte sie auf Grundwasser treffen können. Eine radioaktive Verseuchung des Grundwassers wäre absolut katastrophal gewesen.

Um diese Kontaminierung zu verhindern, wurde in 12 m Tiefe ein Tunnel unter dem Kraftwerk gegraben. Verstärkt wurde dieser mit Beton und aufgefüllt mit flüssigem Stickstoff. Der radioaktiven Lava wurde durch diese Kältemauer der Weg nach unten abgeschnitten. Doch auch hier trugen die Arbeiter, welche für den Tunnel verantwortlich waren, teils schwere Schäden davon.

Tschernobyl: Ein Sarkophag für einen Reaktor

Um die unmittelbaren Gefahren der restlichen radioaktiven Masse hatte man sich also gekümmert. Jetzt ging es darum, Scherben aufzufegen und langfristig zu denken. Als Vorbereitung auf weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Strahlung sollten sogenannte Liquidatoren die Umgebung des Kraftwerks Tschernobyl zunächst von radioaktivem Material säubern.

Allerdings trugen diese etwa 600 000 bis 800 000 Menschen keine hochmodernen Strahlenanzüge. Sie wussten nicht einmal, wie groß die Gefahr, der sie sich aussetzten, wirklich war. Denn sie wurden nicht über die Schwere der Strahlenbelastung aufgeklärt. Die meisten wurden innerhalb der folgenden Monate und Jahre krank, etwa 112 000 bis 125 000 von ihnen starben vermutlich aufgrund von Spätfolgen durch die Strahlung.

Während die Liquidatoren sich um die Säuberung des Areals kümmerten, entwarfen Ingenieure unter Hochdruck ein 170 m langes, 65 m hohes und 70 m breites Gebäude aus Beton und Stahl: einen Sarkophag für den explodierten Kernreaktor in Tschernobyl. Unter Verwendung von 300 000 t Beton und 7000 t Stahl, was deutlich mehr Stahl ist, als beim Bau des Eiffelturms zum Einsatz kam, entstand ein massives überirdisches Grab für den Reaktor.

Die einzelnen Teile wurden dabei außerhalb der Gefahrenzone zusammengebaut und dann über dem Reaktor zusammengesetzt. Ein riesiges Röhrensystem unter dem Dach sorgte für ein mögliches Besprühen des Reaktorkerns mit einem Bohr-Wasser-Gemisch, um radioaktiven Staub zu binden, ohne dass die Arbeiter selbst zu nahe an die Strahlungsquelle gelangten.

Der Bau des Sarkophags von Tschernobyl dauerte etwa ein halbes Jahr. Und er war erfolgreich. Die Umgebung des Atomkraftwerks wurde erfolgreich vor weiterer Strahlung abgeschirmt. Ein Problem gab es allerdings: Auch Beton und Stahl werden durch Strahlung dieses Ausmaßes beeinflusst. Man ging bereits vor dem Bau davon aus, dass der Koloss in Tschernobyl nur etwa 30 Jahre halten würde.

New Safe Confinement (NSC) oder auch: Der Tschernobyl-Safe

Tatsächlich dauerte es keine 25 Jahre, bis erste Probleme auftraten. Die Strahlung zersetzte den Beton nach und nach. Ganze Brocken fielen heraus, es entstanden Risse und Löcher, durch die Strahlung nach außen gelangte. Schnelles Handeln war gefragt.

Ingenieure hatten sich schon seit Jahren Gedanken gemacht und diese Idee nahm immer mehr Gestalt an. Man plante für Tschernobyl eine gigantische Stahl- und Betonstruktur. Viel größer als der Sarkophag, sicherer und haltbarer. Eine bewegliche Struktur mit einer Länge von etwa 162 m, der Breite von 257 m und einer Höhe von 108 m. Damit war dies die größte bewegliche Struktur der Welt. Zum Größenvergleich: Der Notre Dame Paris würde problemlos darunter passen.

Dieser Tschernobyl-Safe sollte den Reaktor komplett umhüllen und künftig zuverlässig von der Außenwelt abschotten. Kostenpunkt: mehr als 2 Mrd. €, ein teures Unterfangen also. Aber das NSC hatte dafür auch einiges zu bieten.

Besonderheiten des Tschernobyl-Safes:

  • immun gegen Temperaturen von -30 °C bis +50 °C
  • hält Erdbeben Stärke 6 und Tornado Stufe 3 stand
  • Reduktion der Strahlung im Inneren des Gebäudes für zukünftige Arbeiten und Dekontaminationsmaßnahmen
  • Vorrichtungen im Inneren ermöglichen den Zugang zu bestimmten Bereichen des Reaktors, ohne Strahlenbelastung zu riskieren

Bau und Betrieb des NSC Tschernobyl:

Baubeginn war bereits im Jahr 2010 und seit 2016 befindet sich der Tschernobyl Safe über dem Reaktor. Die vollständige Abschirmung der Strahlung war nachweislich erfolgreich. Doch es drang auch hier und da Kritik durch. War ein solches Bauwerk als Maßnahme wirklich notwendig?

Denn tatsächlich war die Strahlung im Reaktor gar nicht mehr so hoch. Mit und seit der Explosion in Tschernobyl 1986 waren etwa 90 % des radioaktiven Materials längst ausgetreten. Und die restlichen 10 % zogen eine eher moderate Strahlung mit sich. Ein so riesiger Safe wäre wohlmöglich gar nicht mehr nötig gewesen.

Allerdings ist allein die Möglichkeit, eine so sichere Schutzmaßnahme innerhalb kurzer Zeit umzusetzen, zweifellos beruhigend. Auch wenn wir einen Strahlungs-Safe wie in Tschernobyl in Zukunft hoffentlich nie wieder brauchen werden.

Tschernobyl heute: Wie geht es weiter?

Bis 2065 soll der baufällige Reaktor unter dem Tschernobyl Safe vollständig zurückgebaut sein. Allerdings geriet dieser Plan schnell ins Stocken. Nicht nur die Corona-Pandemie versetzte dem Ganzen einen empfindlichen Dämpfer. Denn, wie wir wissen, liegt Tschernobyl heute in der Ukraine. Und dieser wurde während der auslaufenden Pandemie durch Russland der Krieg erklärt.

Rückbau und Besetzung Tschernobyls im Ukraine-Krieg

Russische Truppen besetzten das Kernkraftwerk Tschernobyl sowie die 30 km breite Sperrzone um das Atomkraftwerk herum. Diese Besetzung Tschernobyls durch Russland dauerte zwar nur vom 24. Februar bis Ende März 2022 an, hatte jedoch katastrophale Auswirkungen.

Etliche Anlagen und Ausrüstungen wurden mutwillig beschädigt oder gestohlen. Darunter auch ein Labor, das der Untersuchung radioaktiver Abfälle diente. Zahlreiche Dokumente und Computer mit ihren digitalen Daten wurden zerstört, Fahrzeuge demoliert und in die Luft gesprengt. Ein absolut unnötiges Ausmaß von Gewalt, das die Forschung und Rückbaupläne um Jahre zurückwarf. Und es war brandgefährlich, schließlich lagerten dort etwa 230 m³ radioaktiver Abfall.

Bis zu dieser Zeit war Tschernobyl als zentrales Endlager für die Stilllegung und Behandlung atomaren Abfalls genutzt worden. Doch durch die Plünderungen sah sich die ukrainische Atomaufsichtsbehörde gezwungen, alle Genehmigungen für einige Monate auszusetzen, bis die notwendige Sicherheit wiederhergestellt war. Erst Ende 2023 wurden die Projekte für Dekontaminierung und endgültige Lagerung atomaren Abfalls um weitere sechs Jahre verlängert.

Gedenken an die Tschernobyl Katastrophe 1986

Die Nuklearkatastrophe Tschernobyl ist einer der weltweit bekanntesten Kernkraftunfälle. Ein Jahr nach dem Unglück erschien beispielsweise der Roman „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang. Ein Jugendroman, der die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens erzählt, das durch eine Reaktorexplosion, ähnlich der von Tschernobyl, selbst kontaminiert wurde und infolgedessen sowohl seine Mutter als auch den eigenen Bruder verlor.

Was wäre, wenn in unserer Nähe so etwas passieren würde? Und was macht eine solche Nuklearkatastrophe mit den Überlebenden? Diese Fragen gingen gemeinsam mit dem Roman um die Welt. Jahrzehnte später wurde die Handlung verfilmt.

Noch heute ist das Interesse am Schicksal der Menschen von Prypjat nicht abgeflaut, im Gegenteil. Die Siedlung nahe Tschernobyl ist gerade als Lost Place nach wie vor in aller Munde. Spätestens seit 2011 ist die Geisterstadt Prypjat für Touristen mit Genehmigung zugänglich. Im Jahr 2017 eröffnete dort sogar ein Hostel, in das sich besonders wagemutige Urbexer einmieten können.

In diesem Zusammenhang erhielten einige Fernseh-Teams Drehgenehmigungen, so auch das deutsche Galileo-Team, deren Reportagen zu Tschernobyl wir an dieser Stelle gerne empfehlen möchten. Ebenfalls einen Blick wert ist die Fernsehserie „Chernobyl“ von 2019. Hier werden der Reaktorunfall in Tschernobyl und seine Folgen umfassend aufgearbeitet. Orientiert haben sich die Verantwortlichen dafür an wahren Begebenheiten und Berichten von Zeitzeugen. Die Serie erhielt 2020 den Golden Globe.

Tschernobyl: Leben in der Sperrzone

Mittlerweile sind auch die anderen Reaktorblöcke Tschernobyls außer Betrieb. Der letzte von ihnen wurde 2000 abgeschaltet. Einige der Häuser in Prypjat wurden renoviert und dienen Arbeitern dort als Unterkünfte. Davon abgesehen war die Gegend um Tschernobyl nie völlig menschenleer. Einige Bewohner der Region weigerten sich, ihr Zuhause zu verlassen, damals wie heute. Oder aber sie kehrten nach dem Unfall zurück. Dadurch leben noch immer vereinzelte Menschen innerhalb der Sperrzone.

Tierische Mutationen in der Tschernobyl Region

Auch die Tierwelt hat sich seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl erholt. Heute leben sogar mehr Arten und Individuen dort als jemals zuvor. Trotz der hohen Strahlenbelastung scheint sich das Tierreich problemlos angepasst zu haben. Verursacht durch die Strahlung treten immer wieder interessante Anomalien oder Mutationen auf.

Beispielsweise wurde nachgewiesen, dass eingewanderte Wölfe durch die Strahlenbelastung dort nicht etwa erhöht anfällig für Krebs sind, sondern sogar genetisch eine Resistenz gegen solche Erkrankungen aufbauen. Eine Tatsache, die gerade für moderne Krebsforschung richtungsweisend sein könnte.

Kann Tschernobyl jemals wieder besiedelt werden?

In den nächsten tausenden Jahren zumindest nicht. Obwohl die Strahlung in den Gebieten rund um den Reaktor stetig weiter abnimmt, scheint eine endgültige Wiederbesiedlung von Tschernobyl nicht sinnvoll. Schließlich werden die Böden auch nachhaltig weiterhin verseucht sein. Für uns bleiben die Folgen der Reaktorexplosion in Tschernobyl noch lange spürbar. Menschen stecken die erhöhte Strahlung weit schlechter weg als Tiere und Pflanzen.

Die Nuklearkatastrophe Tschernobyl ist nach wie vor der größte Kernkraftunfall unserer Geschichte. Dieses Ereignis hat noch immer Einfluss auf das Leben der Menschen in ganz Europa. Selbst Jahrtausende nach uns werden Pilze noch die Strahlung aus dem Boden aufnehmen, eh sie von Wildschweinen gefressen werden, die mit ihnen auch die Radioaktivität zu sich nehmen.

Schwarzer Pilz im Tschernobyl Reaktor

Interessant ist dabei ein schwarzer Pilz, der schon seit 1991 im zerstörten Reaktorblock gedeiht. Direkt dort, wo die tödliche Strahlung eigentlich jedes Leben unmöglich machen sollte. Und das besonders Spannende daran: Er scheint sich von Radioaktivität zu ernähren, um schneller zu wachsen. Dafür zersetzt er das radioaktive Material seiner Umgebung.

Dieser Pilz könnte in Zukunft eine Anlaufstelle sein, um Krebspatienten zu helfen oder Raumschiffe im Weltall besser gegen Strahlung zu schützen. Mit der weiteren Erforschung solcher Organismen wäre es denkbar, dass wir irgendwann Möglichkeiten finden, radioaktiv verseuchte Gebiete wieder für uns Menschen nutzbar zu machen. Noch gibt es also Hoffnung für Prypjat, der Geisterstadt nahe des Atomkraftwerks Tschernobyl.

Aufarbeitung: Die Opfer von Tschernobyl

Die Tschernobyl Katastrophe hat nicht nur in Europa, sondern weltweit für Aufsehen gesorgt. Und vor allem für ein endgültiges Umdenken in Sachen Atomkraft. Diese unglückliche Kombination aus menschlichem Versagen und fehlerhafter technischer Innovation sorgte für die größte nukleare Katastrophe unserer Geschichte.

Am schlimmsten traf es die sogenannten Liquidatoren. Die Aktion war ein wahres Himmelfahrtskommando. Viele wussten gar nicht, worauf sie sich einließen, und waren zudem ohne nennenswerte Schutzkleidung dieser verheerenden Strahlung ausgesetzt.

Ob in ihren Hubschraubern, als Bergarbeiter, die den Tunnel unter dem Reaktor gruben, oder als Aufräumkommando nach der Katastrophe: Viele von ihnen starben durch die Strahlung, ob nach Tagen oder erst nach Jahrzehnten an den Spätfolgen. Genaue Zahlen zu Todesopfern in Tschernobyl gibt es keine. Im Jahr 1986 selbst stieg die Zahl der unmittelbaren Opfer der Reaktorexplosion in Tschernobyl von 2 auf 31 an.

Bis heute sind es 50 bestätigte Fälle, in denen der Tod direkt mit dem Kernkraftwerksunfall in Verbindung gebracht wurde. Davon sind 15 der Opfer Kinder, die an Schilddrüsenkrebs verstarben. Verursacht unmittelbar durch die Strahlenbelastung nach dem Reaktorunfall. 137 weitere Menschen erkrankten an akuter Strahlenkrankheit.

Das Denkmal für Feuerwehrleute, die in Tschernobyl als erste versuchten, Schlimmeres zu verhindern, steht stellvertretend für alle Liquidatoren. Aber auch für Menschen, die direkt während und nach der Katastrophe verzweifelt versuchten, die Folgen einzudämmen.

Die Ingenieure Proskurjakow und Kudrjawzew verließen nach der Explosion den Kontrollraum, um die Steuerstäbe zu finden. Sie hofften, diese per Hand wieder in den Reaktor schieben zu können, um die Reaktion zu verlangsamen, damit die austretende Strahlung abfiel. Letztendlich wurden beide tödlich verstrahlt, in dem Moment, als sie in den offenliegenden Reaktorkern sahen. Sie verstarben bereits wenige Wochen später.

Der leitende Reaktoringenieur Toptunow erlitt ebenfalls eine tödliche Strahlendosis, als er versuchte, die Wasserzufuhr zum Reaktor wiederherzustellen. Doch eine Zuleitung des Kühlwassers in den schmelzenden Reaktorkern kam zu spät.

Diese und etliche weitere Menschen riskierten und verloren am Ende ihr Leben, indem sie alles daran setzten, die Folgen des Reaktorunfalls irgendwie einzudämmen. Doch mit einer Katastrophe dieses Ausmaßes hatte damals niemand gerechnet.

Fazit: Was bleibt uns heute von der Tschernobyl Katastrophe?

Was bleibt, sind Schicksale von Menschen, die bis heute präsent sind. Trotz unserer schnelllebigen Medienwelt. Noch heute ist die Sicherheit von Atomkraftwerken nicht nennenswert weiter als zu Zeiten des Vorfalls in Fukushima im Jahr 2011.

Deutschland beschloss infolgedessen, vollkommen aus der Atomkraft auszusteigen. Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke wurden sukzessive heruntergefahren und 2023 endgültig geschlossen. In anderen Ländern, gerade dort, wo alternative Energiequellen rar sind, ist Atomkraft nach wie vor allgegenwertig. Kaum ein anderes Verfahren erzeugt so viel Energie mit so wenig Aufwand. Die Sicherheit spielt oftmals erst dann eine Rolle, wenn etwas schiefgeht.

Uns bleibt nur, die Nuklearkatastrophe Tschernobyl als Warnung im Hinterkopf zu behalten. Gerade in der Baubranche ist Sicherheit ein Aspekt, der zweifellos die höchste Priorität verdient hat. Bei Kraftwerken allgemein wiegt die Verantwortung, der Ingenieure ausgesetzt sind, besonders schwer. Schließlich zieht ein Fehler verheerende Konsequenzen nach sich.

Mit dieser Last auf den Schultern sollte auch entsprechend umgegangen werden. Nicht nur von Ingenieuren und anderen Beteiligten selbst, sondern auch von der breiten Öffentlichkeit, der Politik und den Medien. Im Verlauf des Ukraine-Kriegs wurde sogar darüber debattiert, Atomkraftwerke wieder ans Netz zu nehmen, um fehlende Gaslieferungen aus Russland auszugleichen. Niemals sollte ein solcher Engpass ernsthaft dazu führen, die Rückkehr einer – potenziell für ganz Europa – gefährlichen Stromerzeugung in Deutschland auch nur in Erwägung zu ziehen.

Sicherheit geht über Profit und Wirtschaftlichkeit. Es muss andere Wege geben als die Atomkraft. Immer. Denn Atomkraftwerke sind nicht sicher, sie werden es niemals sein. Die Nutzung von Nuklearenergie ist zu anfällig für Probleme und schon ein kleiner Fehler kann zu Katastrophen führen.

Bei Tschernobyl waren es falsche Entscheidungen und innovative Anlagen, die einen gravierenden Haken hatten. Dadurch wurde selbst ein einfacher Sicherheitstest zur größten Nuklearkatastrophe der Welt – mit zahlreichen Opfern und einer Verstrahlung, die in weitreichenden Gebieten noch jahrtausendelang anhalten wird.

Diese Tatsachen sollten wir nie vergessen, wenn wir uns über die nächste Stromrechnung ärgern. Und die Politik sollte im Gedächtnis behalten, mit welchen Langzeitfolgen sie spielt, wann immer unter den solarbetriebenen Lampen des Bundestags darüber debattiert wird, ob wir nicht unsere Atomkraftwerke wieder anschalten, um möglichst günstig an Energie zu kommen. Sonnenlicht, Wind und Wasserkraft sind kostenlos. Atomkraft kostet Menschenleben.


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.



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