Hundert Formen, hundert Farben: Friedensreich Hundertwasser war ein Architekt und Künstler, der die Baubranche geprägt hat wie kaum ein anderer. Jeder kennt eines seiner berühmten Werke. Geschwungene Übergänge zwischen den Etagen, die kleinen Balkone und natürlich der eine oder andere Baum, der sich leuchtend grün aus dem Farbenmeer heraus der Sonne entgegenstreckt. Eine bunte Oase inmitten der Großstadt.
Häuser, die atmen, lebendig scheinen, umgeben vom toten, grauen Beton der Innenstadt. Eines dieser berühmten Bauwerke des visionären Architekten ist das Hundertwasserhaus Wien. Gemeinsam sehen wir uns an, was dieses Gebäude so besonders macht und tauchen ein in die Welt eines Künstlers, der die Natur zurück in die Städte holte.
Faszination Hundertwasserhaus
Die österreichische Hauptstadt Wien ist immer einen Besuch wert. Gerade für Freunde von Architektur und Ingenieurskunst. Warum? Es gibt so viele beeindruckende Bauwerke zu bestaunen! Allein die Innenstadt an sich ist ein architektonisches Kunstwerk. Hier treffen verschiedenste Stile aufeinander, ohne sich gegenseitig die Show zu stehlen.
Inmitten des Getümmels der Großstadt jedoch blitzen einige bunte Fassaden hervor. Ein farbenprächtiger Dschungel innerhalb Wiens: das Hundertwasserhaus Wien. Hier verschmelzen Kunst und Architektur zu einem der bekanntesten Bauwerke Österreichs. Aber was genau macht das Hundertwasserhaus aus? Geht es nur um die Fassade? Bei weitem nicht.
Wer war Friedensreich Hundertwasser?
Friedensreich Hundertwasser, mit bürgerlichem Namen Friedrich Stowasser, war ein Künstler, der sich seit den 1950er Jahren mit Architektur beschäftigte. Für uns ist diese Zeit natürlich am interessantesten. Hundertwasser setzte sich sehr für ökologisches Bauen und Leben ein, mit Fokus auf den Menschen selbst. Er wollte Gebäude erschaffen, die seinen Bewohnern ein freies, gesundes Leben ermöglichen.
Besonders wichtig war es ihm, hervorzuheben, dass jeder Mensch nun einmal anders ist – und damit sollte auch jedes Bauwerk, das von Menschen bewohnt wird, ein Unikat sein. In einer gleichgeschalteten Welt aus rohem Beton kann sich niemand wirklich wohl fühlen. Und die Natur sollte immer ein fester Bestandteil des Lebens sein, selbst in einer Großstadt wie seiner Heimat Wien.
Mit diesem Ansatz polarisierte er in der Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und das erheblich. Denn diese war vor allem geprägt durch Nachkriegsbauten, beispielsweise das Neue Bauen, über das wir euch schon in einem früheren Blogbeitrag berichtet haben. Es ging darum, möglichst schnell und günstig viel Wohnraum zu schaffen, wobei jegliche Seele der Architektur an sich verschwand. Blanke, schmucklose Betonwände, jedes Gebäude sieht gefühlt gleich aus – genau dieser Bewegung wollte sich Hundertwasser entgegenstellen.
Blogpost Neues BauenEs gab keine geraden Linien und triste Farben im öffentlichen Bereich seiner Häuser. So lehnte er den ersten, eher konventionellen Modellvorschlag seines Projektpartners für die Wohnsiedlung in Wien entschieden ab. Er wollte, dass seine Werke Leben ausstrahlten: Lebendigkeit und Verbundenheit mit der Natur.
Allgemeine Fakten zum Hundertwasserhaus Wien
Erbaut wurde die Hundertwasserhaus Wohnanlage in Wien von 1983 bis 1985. Das bunte Gebäude findet ihr an der Ecke Kegelgasse 34-38 und Löwengasse 41-43 im 3. Wiener Gemeindebezirk. Für dieses Projekt arbeitete Friedensreich Hundertwasser mit dem Architekten Josef Krawina zusammen. Probleme gab es bereits beim Erstellen eines Modells für den Baukörper der Wohnanlage.
Aufgrund von Uneinigkeiten, gerade bei der Fassade, kam es 1981 zuem Ausstieg Krawinas aus dem Projekt. Dessen Platz nahm Peter Pelikan ein, ein Architekt, der bereits Erfahrung darin hatte, gemeinsam mit Künstlern an Entwürfen für reale Bauwerke zu arbeiten. Er wurde für Hundertwasser infolgedessen ein langjähriger Projektpartner. Da Krawina allerdings jahrelang mit an der Wohnanlage gearbeitet hatte, beschloss ein Gericht vor wenigen Jahren, ihn gemeinsam mit Hundertwasser als Urheber des Gebäudes festzulegen.
Für Baukosten von umgerechnet 6 Mio. € entstanden auf 1092 m² Grundfläche insgesamt 50 Wohneinheiten, vier Geschäfte und sogar eine Arztpraxis. Bis zu 150 Bewohner leben hier auf 3550 m² Wohnfläche. Dazu kommen zwei große Gemeinschaftsräume, in denen Kinder ungestört spielen können, und ein gemeinsam genutzter Wintergarten.
Was macht das Design des Hundertwasserhauses so besonders?
Schon auf den ersten Blick fällt die Fassade des Hundertwasserhauses auf. Die Fenster sind unregelmäßig angeordnet, kaum eines gleicht dem anderen nur im entferntesten Sinne. Jedes davon scheint ein Unikat und das war tatsächlich Hundertwassers ausdrücklicher Wunsch.
Denn jeder, der eine der Wohnungen im Hundertwasserhaus bezieht, hat das Recht, die zugehörige Fassade nach eigenem Geschmack zu gestalten. Dadurch entstand eine bunte Farbpalette an Formen und geschwungenen Linien. Als Bewohner des Hauses hat man also die Möglichkeit, sich gewissermaßen selbst zu verwirklichen. Ein Privileg, das in Städten eher selten zu finden ist.
Eine weitere Besonderheit der Wohnanlage ist Hundertwassers Ideal, die Natur so weit es geht in seine Bauwerke einzubinden. Ein Haus, in dem Menschen wohnen, soll von sich aus lebendig sein, nicht erst durch seine Bewohner selbst. Daher fallen schnell die begrünten Dächer sowie Bäume und Sträucher auf den Balkonen auf.
Nicht nur die Fassade, sondern alle öffentlich zugänglichen Bereiche im Hundertwasserhaus Wien sind im Stil des österreichischen Künstlers und Architekten gehalten. Sich wölbende Böden, bunte Mosaike und geschwungene Säulen in verschiedensten Farben erwarten touristische Gäste und Bewohner des Hauses gleichermaßen.
Übrigens: Hundertwasser hat sein eigenes Gebäude nie selbst betreten. Er war der Überzeugung, ein solches Haus sollte nur für die Bewohner und Besucher da sein, die in ihm lebten oder vorbeikamen, um es zu bestaunen. Sein Ansatz war es, für die Menschen zu bauen, nicht etwa für persönlichen Ruhm.
Wozu dient das Hundertwasserhaus Wien?
Vorrangig ist die Wohnanlage Hundertwasserhaus in Wien natürlich als Lebensraum für die dort eingemieteten Menschen gedacht. Allerdings wollte Hundertwasser seine Bauwerke stets für alle erlebbar machen. Daher wird das Hundertwasserhaus seit jeher sowohl als Wohnhaus als auch als Touristenattraktion genutzt.
Für Bewohner und Besucher des Hauses gilt jedoch der gleiche Grundsatz: Sie sollen ein lebendes Gebäude vorfinden. Geprägt von allen Formen und Farben des Lebens und eingerahmt sowie durchsetzt von der Natur selbst: ein wirklich beeindruckendes und lebenswertes Wohnkonzept.
Statische Herausforderungen am Hundertwasserhaus Wien
Aufmerksamen Lesern dieses Blogs brennt sicher bereits eine wichtige Frage auf der Zunge: Wie konnte ein so ausgefallenes Gebäude wie das Hundertwasserhaus umgesetzt werden? Allein die vielen Formen und unregelmäßigen Fassadenteile lassen dem einen oder anderen Statiker Schweißperlen auf der Stirn stehen.
Noch dazu kommt die Begrünung durch über 900 m² Dachterrassen, auf der nicht nur schlichte Sträucher wachsen, sondern ein ganzer Park aus Bäumen. Sogar auf den Balkonen findet sich der eine oder andere Baum mit einigen Jahrzehnten an Altersringen. Wie kann das Hundertwasserhaus überhaupt halten, ohne zusammenzubrechen?
Wie bei vielen Großprojekten, an denen Künstler maßgeblich beteiligt waren, hatte auch das Hundertwasserhaus in Wien einen langen Planungs- und Entwurfsprozess hinter sich. Kunst und Funktionalität sollten sich laut Hundertwasser nicht gegenseitig im Weg stehen, prallten allerdings oft genug aneinander. Noch dazu war es sein erstes großes Architekturprojekt und er hatte genaue Vorstellungen, wie ein Leben in Harmonie inmitten der Großstadt aussehen sollte.
Um die Wünsche und Vorstellungen des Künstlers umzusetzen, entwarf sein Architekt Josef Krawina einen 10-Punkte-Plan. Dieser sollte sicherstellen, dass Kunst und Statik am Ende erfolgreich zueinander fanden.
- Auflockern der Gebäudestruktur durch Abtreppen und geschwungene Durchgänge
- Integration der Natur durch Begrünung von Dach- und Freiflächen
- PKW-freie Zone durch Spielstraße und geplante dreigeschossige Tiefgarage
- Kinderfreundlichkeit durch bemalbare Wandflächen und ausreichend Bewegungsraum
- Verwendung verschiedenster Wohnungstypen
- Unkonventionelle Fassadengestaltung unter Vermeidung gerader Linien und Kanten
- Einbeziehen von gemeinsam nutzbaren Einrichtungen (Kinderspielplätze, Geschäfte)
- Verwendung von ökologischem Baumaterial (Ziegelmauern, Holz, Keramik, natürliche Bindemittel)
- Energieeffizienz durch dicke Ziegelmauern, dreifachverglaste Spezialfenster, Wärmepumpen, Zisternen zum Auffangen von Regenwasser
- Auswertung und Überprüfung von Versuchen, um Vereinbarkeit mit kommunalem Wohnungsbau sicherzustellen
Viele dieser Punkte sind uns im modernen Bauen bereits geläufig. Allerdings sollten wir bedenken, dass die Planungs- und Entwurfsphase für das Hundertwasserhaus Wien bereits 50 Jahre in der Vergangenheit liegt. Für die damalige Zeit, in der rechteckige Betonbauten ihre Hochzeit erlebten, war der Bau eines solchen Gebäudes nicht nur ungewöhnlich, sondern ein absolut einzigartiges, fortschrittliches Projekt.
Herausforderung 1: Formenvielfalt und Asymmetrie
Ingenieure lieben gerade Linien, Kanten und symmetrische Strukturen. Das lässt sich schnell und unkompliziert berechnen. Hundertwasser dagegen träumte von ausschließlich unregelmäßigen Linien, gebogenen Flächen und abwechslungsreichen Formen, die das triste Quadergrau der Großstadt aufbrechen konnten.
Die Statik für ein solches Gebäude zu berechnen, war wesentlich komplexer und für den Zeitgeist der 70er und 80er Jahre sehr ungewöhnlich. Für Tragwerksplaner war das Hundertwasserhaus zweifellos eine echte Herausforderung. Damit Kunst und Sicherheit Hand in Hand gehen konnten, nutzten die beteiligten Ingenieure ein komplexes System aus tragenden Wänden und Säulen, die eine optimale Lastverteilung möglich machten.
Herausforderung 2: Pflanzen und Erde
Natur in einer Wohnhausanlage ist natürlich schön anzusehen. Aber jeder, der schon einmal ein Beet angelegt hat, weiß, wie schwer allein Erde sein kann. Das Hundertwasserhaus in Wien ist geradezu überwuchert mit Bäumen, Sträuchern und Kletterpflanzen. Auf den Dachterrassen mit etwa 900 m² Fläche sowie auf den Balkonen wurden zur Eröffnung des Hundertwasserhauses ganze 900 t Erde verteilt.
Doch nicht nur die Erde an sich sorgte für zusätzliche Last. Die eingepflanzten Bäume und Sträucher bringen selbst ein gewisses Eigengewicht mit, das gerade durch wachsende Wurzeln auch nicht unbedingt weniger wird. Noch dazu kommen Regen oder Gießwasser. Wie also kann ein so großes Gebäude diesen zusätzlichen Lasten zuverlässig standhalten?
Die Tragwerkstruktur des Hundertwasserhauses in Wien wurde so geplant, dass die Lasten entsprechend abgetragen werden konnten. Ein komplexes, verstärktes Dachsystem lenkt die Last der Erde und Pflanzen zuverlässig nach unten hin ab. Dadurch kann selbst ein heftiger Regenfall nicht für Überlastungen der Tragstruktur sorgen und überflüssiges Wasser kann jederzeit ungehindert abfließen oder wird für trockene Zeiten in Zisternen gesammelt.
Herausforderung 3: Die ungleichmäßigen Bodenplatten
Wer schon einmal im Hundertwasserhaus in Wien unterwegs gewesen ist, weiß, wie sonderbar die Böden dort sind. So etwas kennt man von Städten einfach nicht. Höchstens von lieblos asphaltierten Fahrradwegen, die durch Erdbewegungen und Wurzeln allmählich einer Mini-Version des deutschen Alpenvorlandes ähneln.
Hundertwasser bestand darauf, dass keine einzige Bodenfläche der Wohnanlage komplett eben sein sollte. Zumindest nicht in öffentlichen Teilen des Gebäudes. Durch diese Wellenform der Böden gelang es zwar, etwas Einzigartiges zu schaffen, aber was für Touristen eine spannende Sache ist, bereitete den Ingenieuren damals Kopfzerbrechen.
Letztendlich bestand die Lösung darin, nicht ein Stockwerk als einzelne Ebene zu sehen, sondern jede große Ebene in zahlreiche kleinere einzuteilen und entsprechend einzeln zu berechnen. Dadurch entstand ein System verschieden angeordneter Ebenen, die trotz optischer Ungleichheit in der Lage waren, Kräfte gleichmäßig auf die entsprechend angrenzende Tragstruktur zu übertragen.
Herausforderung 4: Langfristige Instandhaltung
Wart ihr in den letzten Jahren in Wien? Vielleicht seid ihr sogar am Hundertwasserhaus vorbeigekommen und habt euch gedacht: Mensch, das sieht aber heruntergekommen aus. Ob das noch lange steht? Tatsächlich ist es hier die Vision hinter dem Gebäude selbst, die dafür verantwortlich ist. Die Integration von Natur geht natürlich nicht spurlos an einem Gebäude vorbei. Durch die Pflanzen entstehen Bereiche, die mal mehr, mal weniger Sonne abbekommen. Auf der bunten Fassade gibt das ausblassende Farbflecken. Doch nicht nur der Lichteinfall macht einiges aus.
Ob andauernde Feuchtigkeit durch die Erde auf den Terrassen, der Wurzeldruck immer weiter wachsender Bäume oder Überreste von Pflanzen an der Fassade: Lebendigkeit heißt nicht immer nur Schönheit, sondern auch Vergänglichkeit. Moos an den Wänden, Ablagerungen durch Kletterpflanzen, die im Winter verdorren, um im Frühling neu auszutreiben.
Da helfen auch regelmäßige Reinigungsaktionen nur bedingt. Und auf bunten Fassadenteilen fällt so etwas selbstverständlich mehr auf als bei blanken Betonwänden. Dort wäre man für jede Variation vermutlich dankbar. Spezielle Abdichtungen am Gebäude werden regelmäßig erneuert, damit die Feuchtigkeit nicht ins Mauerwerk eindringen kann.
Die Arbeit an der Hundertwasserhaus-Fassade ist nicht die einzige Herausforderung. Auf den Fotos sieht man, wie viele Mosaike überall verbaut wurden. Dass einige der winzigen Keramikstücke ab und zu herausbrechen oder abfallen, ist ganz normal. Daher ist es eine fortlaufende Aufgabe, auch die Inneneinrichtung immer in Ordnung zu halten. Es wird nie langweilig im Hundertwasserhaus.
Fazit: Das Hundertwasserhaus in Wien
Bis heute ist das Hundertwasserhaus eines der architektonischen Highlights von Wien. In den über 40 Jahren, die es bereits hinter sich hat, diente es zahlreichen anderen Bauwerken als Inspiration. Nicht nur für Hundertwasser selbst und seine späteren Werke.
Allein Hundertwassers Vision, die Natur zurück in die Innenstädte zu bringen, ist ein Anreiz für die gesamte Baubranche, effizientes Bauen, Wohnen und modernen Wohnkomfort auf eine Ebene zu bringen. Modernes Bauen und Individualität müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, das haben wir auf unserem Blog schon oft festgestellt.
Umso wichtiger ist es, sich von konventionellen Bauweisen zu lösen, denn wir können weit mehr als seelenlose Betonblöcke aneinanderzureihen. Ingenieurskunst bedeutet, sich an verschiedenste Umgebungsbedingungen und Materialien anzupassen, um Bauwerke zu erschaffen, die sich nahtlos einfügen, ohne etwas von ihrer Funktion einzubüßen. Kreative Ansätze schaden unserer Baubranche sicher nicht – im Gegenteil.
Sie spornen uns an, uns von eingefahrenen Mustern zu lösen und uns mit jedem noch so ungewöhnlichen Projekt weiterzuentwickeln. Lebenslanges Lernen trifft lebenslanges Bauen, sodass unsere Ideen und Ansätze selbst nach uns weiterleben und andere inspirieren können. So wie es Hundertwasser noch heute tut, bis weit über seinen Tod hinaus.