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18. Januar 2023

Achtung Bausünde! Ist das Kunst oder kann das weg?

Es heißt ja immer, Geschmäcker sind verschieden. Bei einigen Gebäuden kommt man allerdings nicht drum herum, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. "Wer hat das bitte genehmigt?" Ein Betonklotz inmitten der schönen Altstadt? Doch was steckt hinter diesen "Bausünden"? Brauchen wir so etwas in den Städten? Die Expertin für Bausünden, Turit Fröbe, gibt uns einen Einblick in etwas andere Architektur. Wir freuen uns schon darauf!

Seltsam skurrile Gebilde, von denen niemand weiß, was sie darstellen sollen – vermutlich auch die Architekten selbst nicht? Bevor wir weiter über Bausünden und ihre Daseinsberechtigung philosophieren, haben wir uns einen Experten in unseren Podcast geholt!

Wie aus Hass Liebe wurde – Ein Bausünden-Märchen

Eigentlich hat unser Gast Turit Fröbe eine eher klassische Ausbildung hinter sich. Sie studierte Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Marburg. Später schloss sie noch einen Master in Europäischer Urbanistik an und unterrichtete im Bereich Baukulturelle Bildung. Nun sammelt sie seit über 20 Jahren schon die hässlichen Entlein unserer Städte. Dabei hat sie Bausünden eigentlich gehasst. Wie kam es also zu diesem Sinneswandel?

In Bielefeld lief sie an einem Stromkasten vorbei, der von einem Stelenfeld umgeben war. In diesem Moment wusste sie, sie wollte einen Abriss-Kalender für Bausünden erstellen – 365 Tage, 365 architektonische Katastrophen. Doch während ihrer Arbeit mit solchen Bauwerken entwickelte sie immer mehr Liebe dafür und so änderte sich ihre Sicht. Aus Hass wurde ein liebevoller Blick.

Heute ist sie freiberuflich mit ihrer "Stadtdenkerei" unterwegs. Was steckt dahinter? Städte oder Kommunen beauftragen ihr Unternehmen, wenn es darum geht, beispielsweise Umbau- oder Neubaukonzepte zu verbessern. Dabei verändert Turit nichts an Planung oder Bauwerken, sondern lediglich auf spielerische Weise die Wahrnehmung der Menschen. Vor allem Bausünden nehmen dabei eine wichtige Rolle ein. Sie arbeitet meist etwa eine Woche lang in den Städten oder Kommunen mit Workshops und Stadtführungen.

  • "Wir lassen die Leute entdecken, was sie in ihrem Alltag übersehen oder für nicht betrachtenswert halten."

Was sind Bausünden?

Klären wir erst einmal den Begriff "Bausünde". Was genau ist das eigentlich? Hier passt ein Gebäude nicht ins Stadtbild. Oft weist es Formen auf, die eher abschreckend oder seltsam wirken. Das Spektrum reicht von fantasievoll und skurril über befremdlich bis absolut hässlich – Natürlich sieht das jeder ein wenig anders.

Viele Bausünden wurden erst nachträglich in diese Kategorie geschoben. Hierzu gehören Bauwerke, die einfach mit der Zeit aus der Mode gekommen sind. Ein Beispiel dafür ist der Brutalismus. Dabei handelt es sich um große Bauten aus Rohbeton, meist aus den 60er oder 70er Jahren, die oft sehr brachial wirken. Damals war das Mode! Der Architektur-Geschmack ist schließlich launisch und nach 20-25 Jahren sieht man Gebäude, die vorher als Baukunst wahrgenommen wurden, am liebsten gar nicht mehr an. Schade, aber so ist es mit Trends und Mode nun einmal.

Turit erklärt uns, dass sie zwischen klassischen Bausünden und originellen Bausünden unterscheidet. Besonders die zweite Kategorie hat sie in ihren Bann gezogen. Hier geht es um fantasievolle Bauwerke, bei denen sich die Architekten sichtlich Mühe gegeben und Kreativität bewiesen haben. Hier wurde gewagt, etwas auszuprobieren.

Diese Gebäude stechen merklich aus der Masse heraus und haben einen ganz eigenen Charme – jedes auf seine Art und Weise. Man erinnert sich einfach daran. Leider sind solche Bauwerke eher selten. Der Großteil an Bausünden kommt in so ziemlich jeder Stadt vor, ist also fast schon austauschbar und damit nicht unbedingt interessant.

Beispielsweise gibt es immer wieder "Unfälle" im Bauwesen – Bauwerke, die zwar gut gemeint waren, aber am Ende in einem architektonischen Desaster endeten. Oder aber Gebäude wurden erst durch Umbau, Anbau oder Dekoration zu echten Bausünden. Jeder Bestandsbau kann im Nachhinein zu einer solchen Katastrophe werden.

Bausünden neu betrachten

Wenn Turit mit ihrem Team der "Stadtdenkerei" unterwegs ist, bietet sie beispielsweise Spaziergänge durch die jeweilige Stadt an. Hier zeigt aber nicht sie den Teilnehmern Gebäude, die sie als Bausünde beschreiben würde, sondern lässt sich zu Bauwerken führen, die von den Einwohnern selbst als bauliche Katastrophe gesehen werden. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Dynamik.

Sie berichtet, dass die Hemmungen, über solche Bauten zu sprechen, wesentlich niedriger sind als bspw. bei hoher Baukunst wie Barockgebäuden. Dadurch kommt man schnell miteinander ins Gespräch. Hier findet dann die Magie statt.

Turit gestaltet diese Gespräche spielerisch. Sie sagt den Teilnehmern, sie würden nun ein kleines Spiel daraus machen, positive Dinge über das jeweilige Bauwerk zu sagen, es positiv zu beschreiben. Ein Spiel ist zwanglos und wird wesentlich besser angenommen als einfache Vorträge über Architektur. Hier zeigt sich im Anschluss oftmals: Kaum haben sich die Teilnehmer einmal richtig mit den verhassten Gebäuden befasst, kommen sie ihnen oft gar nicht mehr so hässlich und schlimm vor.

Brauchen wir Bausünden?

Wenn Turit unterwegs war, um nach Bausünden zu suchen, hat sie sich gefreut, sobald sie eine neue gefunden hat. Daraus entwickelte sich nach und nach ein, wie sie es beschreibt, "liebevoller Blick" für die hässlichen Entlein der Bauwerke. Als sie dann nach vier Jahren ihren ersten eigenen "Abrisskalender" für Bausünden in der Hand hielt, geriet sie ins Grübeln.

  • "Ich merkte, ich will die gar nicht abreißen. Ich fand die gar nicht mehr so schlimm."

Viele als Bausünde eingestuften Baustile, wie der Brutalismus, erleben momentan wieder ein Comeback. Turit ist überzeugt davon, dass man Gebäude wieder neu zu schätzen lernt, wenn man sich erst einmal genauer mit ihnen beschäftigt. Schließlich können sich Trends auch immer wieder einmal ändern. Man sollte also Bauwerke nicht gleich abreißen, nur weil die meisten Leute sie hässlich oder unpassend finden.

Gerade Bausünden haben einen ganz besonderen Reiz und ziehen Menschen an. Sie fallen auf und bleiben im Gedächtnis – genau darauf kommt es letztendlich in der Architektur an. Nur mit ausgefallenen Bauten erreicht man Aufmerksamkeit. Sie sind etwas Besonderes, so seltsam sie auch manchmal auf den ersten Blick sein mögen.

Oft fehlt das Bewusstsein dafür, dass wir letztendlich entscheiden, wie unsere alltägliche Umgebung aussieht. Haben wir einmal bewusst erkannt, wie facettenreich die Bauwerke um uns herum sind, wehren wir uns gegen Investoren von außen, die der Meinung sind, Städte vereinheitlichen zu wollen. Jede Stadt sollte ihren eigenen Charakter behalten. Aber das geht nur, wenn die Einwohner zu schätzen wissen, wie viele unterschiedliche Gebäude sie jeden Tag umgeben.

Also ja, wir brauchen auch Bausünden, besonders diejenigen, die wirklich durch ihre Einzigartigkeit hervorstechen. Ansonsten sieht jede Stadt irgendwann wie die andere aus. Und das wäre nun wirklich schade, da stimmen wir Turit zu.

Schöne Bausünden

Auf unsere Frage nach der schönsten Bausünde, die sie kennengelernt hat, nennt uns Turit das "Alexa" in Berlin. Wer es nicht kennt – Dabei handelt es sich um eine rosarote Shopping-Mall, die vom Stil her eher in Kairo oder Alexandria stehen könnte. Sie wirkt sehr fernöstlich und passt damit natürlich überhaupt nicht zu den umstehenden Gebäuden. Dadurch hat sie einen sehr großen Wiedererkennungs- und Erinnerungswert.

Als Indikator für eine schöne Bausünde sieht Turit vor allem Spitznamen, die der Volksmund den Gebäuden gibt. Das Alexa wird in Berlin bspw. "rosaroter Hochbunker" oder "Pharaonengrab" genannt. Dann hätten wir bspw. noch das "Elefantenklo" in Gießen. Neugierig? Gerne selbst nachschauen, was dahintersteckt!

Mehr Baukulturelle Bildung für die Zukunft

Um ein Bewusstsein für Stadtplanung und auch ein abwechslungsreiches Stadtbild zu erreichen, beginnt man am besten schon im Kindesalter. Turit würde sich wünschen, dass baukulturelle Bildung ein Teil des Lehrplans an deutschen Schulen wird. Schließlich sind wir rund um die Uhr in Architekturen unterwegs, die wir oft gar nicht wirklich verstehen.

Wichtig, das betont sie besonders, ist es, dass schon Kinder und Jugendliche lernen, wie sie später selbst auf die Baukultur einwirken können. Nur so können wir die Einzigartigkeit unserer Städte erhalten.

Turit hofft darauf, dass die Baukultur in Zukunft innovativer und jungen Architekten wieder mehr zugetraut wird. Momentan wird überall viel zugebaut und es sieht so ziemlich in jeder Stadt gleich aus – die gleichen langweiligen Bauten.

  • "Wenn man in den Niederlanden in eine Ausstellung für junge Architekten geht, sind die Architekten 26. Macht man das in Deutschland, sind sie 49. Das heißt, sie sind schon gebrochen, bevor sie anfangen dürfen, zu bauen."

Jungen Architekten möchte sie vor allem dazu raten, mutig zu sein. Sie sollen experimentieren und sich nicht von den Älteren untergraben lassen. Ihre eigenen Ideen zu verteidigen und zu zeigen, dass innovatives Bauen genau das ist, was unsere Städte brauchen – darin liegen Turits Hoffnungen für die Zukunft.

Turit, was ist dein Lieblingsbauwerk?

Hier muss sie nicht lange überlegen. Das Beeindruckendste, was sie an Bauwerken erlebt hat, ist für sie zweifellos die Akropolis in Athen. Das Parthenon ist für sie das Großartigste, das jemals von Menschenhand auf diese Welt gebaut wurde. Das können wir absolut nachvollziehen.

Vielen Dank, dass du bei uns zu Gast warst!


Autor

Frau Ruthe ist im Marketing als Copywriterin zuständig für die Erstellung kreativer Texte und packender Headlines.



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